2. Gott wird in ihrer Mitte wohnen
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer.
„Gott wird in ihrer Mitte wohnen“ ein treffenderes Thema könnte man wohl kaum finden, wenn man um die Einheit der Christen betet, wie es in diesen Tagen in unserem Land geschieht.
„Gott in ihrer Mitte“ das ist eine Vision, die in den Schriften der Bibel immer wieder anklingt, so auch in der Offenbarung des Johannes. Doch steht diese Verheißung nicht nur über dem Ende unserer Geschichte, sie will bereits unsere Gegenwart, unser Hier und Jetzt prägen. „Gott in ihrer Mitte“, das ist nicht nur die Sehnsucht der Menschen, sondern auch erlebte und erfahrbare Wirklichkeit. Jesus hat den Seinen zugesichert, er werde in ihrer Mitte sein, wann immer sie in seinem Namen beisammen sind.
Mir kommt dabei eine Begebenheit in den Sinn, die mir ein guter Freund, damals katholischer Pfarrer in Norddeutschland, berichtet hat. Bei einer gemeinsamen Trauung hatte er seinen evangelischen Amtskollegen aus dem Nachbarort kennengelernt. Die Gespräche mit dem Brautpaar liefen ziemlich mühsam, und ich erinnere mich nicht mehr, ob die Trauung überhaupt stattgefunden hat - aber die beiden Pfarrer fanden darüber zueinander.
Zunächst überlegten sie, eine gemeinsame Aktion zu starten: in ihren Gemeinden ökumenische Bibeltage anzuregen, ein meditatives Nachtgebet anzuregen oder eine Gemeindefahrt für beide Pfarreien zu organisieren ... Doch dann entschieden sie, zunächst einmal selbst damit anzufangen, den eigenen Glauben zu teilen, dem anderen davon mitzuteilen und so am Leben des jeweils anderen Anteil zu nehmen. Gefragt, was er denn gern mache, sagte der eine: „Ich bete gern.“ „Dann laß uns miteinander beten!“, erwiderte der andere.
Sechs Jahre lang haben sich die beiden jeden Sonntag jeweils für eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst getroffen und miteinander und für die ihnen anvertrauten Menschen gebetet. Dann ist jeder in seine Gemeinde gefahren und hat mit ihr den Gottesdienst gefeiert. So entstand über die Jahre hinweg eine Freundschaft und geistliche Verbundenheit, die dann auch auf die Gemeinden abgefärbt hat: Man lernte den anderen verstehen und schätzen, akzeptierte die eigenen Grenzen und die des anderen und ermutigte sich gegenseitig, dem Wirken des Heiligen Geistes zu trauen. Diese Verbundenheit im Geist Gottes dauerte auch fort, als beide Pfarrer nach einigen Jahren versetzt wurden und andere Aufgaben in ihren Kirchen übernahmen.
Mich hat dieses Beispiel gelebter Ökumene tief beeindruckt und ermutigt, dem Wort zu trauen, das Jesus den Seinen - damals wie heute - sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das wäre tatsächlich eine Perspektive auch für das Miteinander der Christen, die noch in verschiedene Kirchen zum Gottesdienst gehen und an getrennten Tischen Abendmahl feiern. Es wäre ein Lebensprogramm für die Kirchen, unbeschadet aller Bemühungen einer theologischen Aufarbeitung, ein Programm für die Christen, einander als Schwestern und Brüder zu erkennen, deren Glaube ich teilen und an deren Leben ich Anteil nehmen kann.
„Gott wird in ihrer Mitte wohnen“, das sind die Aussichten, die uns das letzte Buch der Bibel eröffnet, und ich hielte es nicht für ausgeschlossen, daß sich, vielleicht unbemerkt von den großen Kirchenpolitk, eine Ökumene des Volkes ausbreitet, eine Beziehung des wechselseitigen Verstehens und Anteilnehmens, eine Kultur der gegenseitigen Liebe. Wie sollte Gott da nicht seine Verheißung einlösen und unter den Seinen wohnen, die in seinem Namen vereint sind!