3. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer
Vor einigen Monaten war ich mit unseren Studenten aus dem Priesterseminar im Dom zu Hildesheim. Wir wollten uns unter anderem den schweren bronzenen Radleuchter über dem Altar anschauen, einer Darstellung des himmlischen Jerusalems aus dem 11. Jahrhundert.
Doch zu meinem Erstaunen war der Leuchter zu Restaurierungszwecken auf Augenhöhe herabgelassen worden. Eine einmalige Gelegenheit, den Leuchter aus der Nähe zu betrachten, Wir empfanden es als eine diskrete Aufforderung, sich gleichsam in die Tore zu stellen, die sich zu einer Stadtmauer zusammenfügten, und in die heilige Stadt hineinzuziehen, von der uns die Offenbarung des Johannes in einer Vision berichtet:
„Ich sah die heilige Stadt, das himmlische Jerusalem, ... wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von Herrlichkeit Gottes.“ (Offb 21,10)
Der Anblick des Leuchters muß für den mittelalterlichen Pilger überwältigend gewesen sein, und er mag etwas von der Herrlichkeit Gottes erahnt haben, wenn er aus dem Dunkel des Kirchenraumes in den Lichtkranz dieses Leuchters trat, eben dort, wo auch heute die Gegenwart Gottes unter den schlichten Gaben von Brot und Wein erfahrbar ist. Das himmlische Jerusalem über dem Altar: aussagekräftiges Bild für den Himmel, der sich herabneigt und sich ausbreitet auf die Gemeinde, die zu Gebet und Gottesdienst zusammenkommt und etwas von der Herrlichkeit Gottes in sich aufnimmt und nach außen trägt.
„Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten“, so führt Johannes in seiner Vision weiter aus, „Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie. ... Die Völker werden in diesem Licht einhergehen ... Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen Nacht wird es dort nicht mehr geben“ (21,23ff)
Es ist dies das Modell der offenen Stadt, nicht der geschlossenen Gesellschaft: jene heilige Stadt, offen für alle, die vom Licht angezogen sind. Das himmlische Jerusalem: ein Bild für unsere christlichen Kirchen und Gemeinden. Sie sind ein Ort, wo Gott angebetet wird, der in der Mitte seines Volkes ist. Ein Ort, von dem Licht ausgeht, das sich ohne Vorbehalte verschenkt. An uns Christen liegt es, diese Tore weit offen zu halten, damit jeder mit dieser Wirklichkeit, mit Gott in Berührung kommen kann: Mit der neuen Stadt, dem himmlischen Jerusalem, das vom Himmel herabkommt. Erfahrbar am Altar, dort, wo das neue Gottesvolk sich versammelt um Christus, der uns zu seinem Volk zusammenschließt.
Es ist das Bild des Gottes, der uns nahe gekommen ist, der in unserer Mitte wohnt, mit dem wir vertrauten Umgang haben.
Der herabgelassene Leuchter von Hildesheim, verehrte Hörerinnen und Hörer, ist für mich zu einem Symbol geworden für die ersehnte Einheit der Christen: nicht wir machen sie, sie kommt vielmehr über uns, und wir können ihr entgegengehen.