4 - Komm heraus und stell dich vor den Herrn!
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer!
Haben Sie eine Vorstellung von Gott? Ein Bild von ihm, wer er ist, wie er handelt, wie er sich zeigt ... Unsere Vorstellungen sind doch oft recht vage, und auch wenn wir an ihn glauben, mit ihm reden, mit ihm leben, bleibt unser Gottesbild oft doch ziemlich nebulös.
Da ist geradezu sensationell, dass Gott dem Propheten Elija von sich aus anbietet, sein wahres Gesicht zu zeigen und ihn seine Herrlichkeit erfahren zu lassen. „Komm heraus und stell dich vor den Herrn!“ Wir erinnern uns: Elija brennt darauf, endlich zu Gott durchzustoßen. Der Weg durch die Wüste, die Durststrecke im Glauben, dauert schon viel zu lange. Ziel seiner Pilgerschaft ist der Horeb, jener Berg, an dem Gott sich einst in Blitz und Donner, in Feuer und Erdbeben offenbarte und seine Gebote dem Mose verkündete. Genauso wird Elija sich die Begegnung mit Gott auch vorgestellt haben: als eindrucksvolle Demonstration der Macht und Herrlichkeit jenes furchterregenden Gottes, der den Elementen gebietet und vor dem die Völker zittern.
Und Gott fordert den Propheten auf, sich ihm zu stellen, sich ihm vor-zu-stellen: „Komm heraus und stell dich vor den Herrn!“ - Begegnung auf Augenhöhe. Gott liegt nichts daran, den Menschen klein zu halten, ihn runter zu machen. Im Gegenteil: Er fordert ihn heraus, sich aufzurichten und ihm mit erhobenem Haupt gegenüberzutreten, freilich auch im Bewusstsein der eigenen Armseligkeit. So kann sich Elija in die Begegnung mit dem lebendigen Gott wagen und muss erfahren, dass Gott so ganz anders ist, als er sich vorgestellt hat.
Hören Sie selbst:
„Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben,. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.“ (1 Kg 19,11-13).
Die Überraschung ist wirklich gelungen: Gott kommt so ganz anders, als Elija ihn erwartet hat, vielleicht auch anders, als wir uns das vorgestellt haben. Wie gern hätten wir manchmal eine machtvolle Demonstration seiner Stärke, wenn wir uns schwach und gedemütigt fühlen! Wenn andere uns ironisch fragen, warum denn unser Gott schweigt, wo doch so viel Leid und Unrecht geschieht in der Welt ...
Doch dieser große und gewaltige Gott will uns gerade nicht erdrücken und mit seiner Macht erschlagen. Er ist kein orientalischer Despot, der nur den kleinen Finger zu rühren braucht, um alle Welt erzittern zu lassen. Er ist vielmehr der, der das Elend seines Volkes sieht und hinabsteigt, der den Armen aus dem Staub emporhebt und die Niedrigen und Bedrückten aufrichtet. Gott kommt gerade nicht von oben herab, sondern ist der Grund, auf dem wir stehen, er ist es, der uns trägt und stützt und wieder aufrichtet.
Das ist es, was Elija in dieser Situation intuitiv erfasst und was seine Vorstellung von Gott von Grund auf verändert: Das sanfte, leise Säuseln des Windes lässt ihn erahnen, dass Gott schon längst gegenwärtig, ihm nahe ist, auch auf seinem langen Leidensweg.
„Schweige und höre!“, so beginnt die Regel des heiligen Benedikt, Grundregel für jeden, der sich ernsthaft auf den lebendigen Gott einlassen will. Eingedenk der Gotteserfahrung des Elija dürfen wir hinzufügen: „Komm aus dir selbst heraus und rechne damit, dass Gott dir auf Augenhöhe begegnen will!“ Ich bin sicher, er wird auch heute an uns vorbeiziehen.
Ich wünsche es uns.