| Kirche in WDR 2-5

Aufbrechen ins Schweigen

„Geh von den Menschen, schweige
Ruh in der Bergmulde - traumlos
Schau in die Sonne - stundenlang
Horch in das Schweigen - herbsttags
Geh zu den Menschen - rede.“

Seit ich, verehrte Hörerinnen und Hörer, in Studentenjahren dieses Gedicht gehört habe, ist es mir nie ganz aus dem Kopf gegangen. Es ist, als meldeten sich tiefere Schichten meiner selbst zu Wort,

-  Schichten, die im Hin und Her, in der Geschäftigkeit des Alltags verloren zu gehen drohen,
-  jene Sehnsucht nach Stille, Schweigen, nach Besinnung.

Manchem mag es ähnlich gehen in diesen Tagen:
- „Ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen!“
- so höre ich auch von Kollegen.
- „Es wird höchste Zeit, daß bald der Urlaub kommt!“

Oft ist es einfach nur der stumme Notschrei: „Ich kann nicht mehr“
-  nur raus, weit weg, keinen hören und niemanden sehen ...

Geh von den Menschen, schweige
Ruh in der Bergmulde - traumlos
Schau in die Sonne - stundenlang
Horch in das Schweigen - herbsttags

Aber es ist nicht nur Hektik und Streß, es ist auch die Geschäftigkeit, die Unruhe in mir selbst. Dann ärgere ich mich über mich selbst: Warum muß ich denn, kaum daß ich im Auto sitze, das Radio anstellen, oder zu hause ´mal eben gucken, ob auf irgend einem Fernsehkanal noch Nachrichten laufen - zapping, nennt man das heute.

„Vollgestopft und unerfüllt“, so komme ich mir oft vor, angefüllt mit vielem, was mich gefangen nimmt, was mir im Moment so wichtig erscheint

- und was doch, wenn es auf Letzte und Ganze geht, unwesentlich ist.

„Vollgestopft und unerfüllt“, und zugleich auf der Suche nach Stille, nach Echtem, nach Erfüllung. Aber wer randvoll ist mit Erlebtem, Bedrängendem, Unverarbeitetem, der kann gar nichts Neues in sich aufnehmen, und wäre es noch so kostbar und wichtig.

So geht es mir gegenüber Menschen: Bei mir hat sich ’mal jemand bedankt, daß wir ein gutes Gespräch hatten. Dabei hatte ich nichts weiter getan als zuzuhören, innerlich leer und aufmerksam zu sein, um mit ganzer Intensität in mich aufzunehmen, was der andere mir sagen wollte. So geht es mir auch mit Gott.

Es können nicht beide sprechen: Gott und ich. Ich brauche in mir diese innere Leere, die auf Fülle, Erfüllung angelegt ist. ich brauche in mir jenes Schweigen, das Sein Wort aufnehmen kann. „Gott spricht unaufhörlich“, so heißt es in den Erzählungen der Chassidim, „aber er wiederholt sich nie!“ Also brauche ich nicht ständig auf Gott einzureden, sondern mich schlicht hineinhalten in die Wirklichkeit Gottes, seiner Gegenwart innewerden.

„Geh von den Menschen, schweige
Ruh in der Bergmulde - traumlos
Schau in die Sonne - stundenlang
Horch in das Schweigen - herbsttags.“

Verehrte Hörerinnen und Hörer,

Die Ferien werden irgendwann vorbei sein, der Alltag uns wieder haben: Das Geschäft und die Geschäftigkeit des Alltags werden uns bald wieder einholen. Dann wird sich zeigen müssen, ob auch die letzte Zeile des Gedichts greift:

Geh zu den Menschen, rede ...

und sei es nur ein Wort: ein Wort allerdings, das aus dem Schweigen kommt!

Ich wünsche Ihnen heute dieses Wort!