„Für wen gehst du?“
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer, mein Name ist Peter Klasvogt. Ich lebe in Paderborn und bin als Regens des Priesterseminars für die Ausbildung katholischer Priester tätig.
Von Martin Buber gibt es eine Erzählung: „Für wen gehst du?“ Sie handelt von Rabbi Naftali, der spät abends in einer abgelegenen Gegend auf einen Nachtwächter stößt. „Für wen gehst du?“, fragt er ihn. Der Mann gibt an, in wessen Auftrag er arbeitet, und stellt die Gegenfrage: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“
- Das Wort trifft den frommen Mann wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemand“ bringt er mühsam hervor, dann schreitet er lange schweigend neben dem Mann auf und nieder.
„Willst du nicht mein Diener werden?“, fragt er endlich. „Das will ich gern“, antwortet jener, „aber was habe ich zu tun?“ - „Mich zu erinnern“, sagt Rabbi Naftali.
- Musik -
„Für wen gehst du?“, die Frage, verehrte Hörerinnen und Hörer, erscheint in der heutigen Zeit ziemlich überflüssig und abwegig. „Natürlich gehe ich für mich.“ Ich bin mein eigener Herr und entscheide frei, was ich mache und was ich lasse. Doch diese Freiheit und Ungebundenheit kann auch ganz schön anstrengend und belastend sein. Manch einer erlebt es oft geradezu beängstigend, daß er sich selbst überlassen ist und sich ständig neu entscheiden muß. In der Zeit der antiautoritären Erziehung gab es schon ´mal das spöttische Bedauern über die Kinder, die am Morgen in die Schule kommen und fragen: „müssen wir schon wieder tun, was wir wollen?“
„Für wen gehst Du?“ - Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß diese Frage auch verlegen macht: „Noch gehe ich für niemand.“ So antwortet jemand, der noch auf der Straße ist, der noch keinen gefunden hat, der ihn in Dienst nimmt. Klingt darin nicht auch die Not vieler Menschen heute an: ich habe etwas gelernt und kann ´was - aber ich finde keine Arbeit;
ich bin talentiert und begabt, ich habe etwas anzubieten und will etwas tun - aber man braucht mich nicht. Ich habe zwar mein Auskommen und meine Rente - aber mein Wissen, meine Lebenserfahrung ist scheinbar nicht gefragt. Leider.
Aber auch derjenige, der Arbeit hat, vielleicht zuviel Arbeit hat, reagiert auf die Frage des Nachtwächters möglicherweise irritiert: ich hetze und rackere, ich mache alles Mögliche und reiße mir die Beine aus ... - aber wofür tue ich das eigentlich? Ich habe zwar viel zu tun, so viel, daß ich gar nicht zum Nachdenken komme - aber ob da ein Sinn d´rin steckt: das steht auf einem ganz anderen Blatt ...
Fragen, die nachdenklich stimmen, wenn man sich ihnen aussetzt: „Was tust du? Für wen gehst Du?“ - Die Frage setzt letztlich tiefer, am ureigensten Lebensnerv an: Worauf setzt du eigentlich in deinem Leben? Wofür lohnt es sich wirklich, Zeit und Kraft und Energie einzusetzen?
- für eine gute Sache etwa, für ein hohes Ideal - oder auch für einen Menschen, der mir lieb und teuer ist, der mich versteht und mit mir durch dick und dünn geht, für meine Familie, die Kinder oder ...
- oder für einen, der mich ruft, mich in seinen Dienst ruft...
„Beruf“ hat mit „Berufung“ zu tun: etwas Sinnvolles tun; etwas, wozu man sich berufen fühlt, wozu man sich gerufen weiß.
Das ist es, was den Rabbi in unserer Geschichte offensichtlich so erschüttert: von Gott innerlich angerührt zu sein, berufen, mit ihm zu leben und für ihn zu gehen - und über das alltägliche Einerlei ihn vergessen zu haben.
Das Feuer der ersten Begeisterung - es ist im Laufe der Zeit zur Sparflamme, zum glimmenden Docht geworden ...
- Musik -
„Für wen gehst Du?“ - das ist nicht nur eine Frage an den alten Rabbi in einer uns sehr fernen Märchenwelt. Es ist eine Stimme, die auch heute durch die Wolkenmauer des Vergessens, der Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit dringt und uns „in Frage“ stellt. Eine Frage, die in uns steckt und der wir uns letztlich nicht entziehen können: „Für wen gehst Du?“ Was machst Du aus deinem Leben? - und: „Gibt es Ideale, für die du dich begeistern kannst, für die es sich zu arbeiten und zu leben lohnt?"
Ich habe einige junge Leute danach gefragt, wofür sie leben. Hier ihre Antwort:
Ich heiße Karin Krohn, bin 28 Jahre alt und gebe zur Zeit Religionsunterricht in einer Grundschule.
Vor einigen Jahren habe ich die Benediktinerabtei Münsterschwarzach kennengelernt, wo Kurse für Jugendliche und Erwachsene angeboten werden und die Möglichkeit besteht, am Leben der Mönche teilzunehmen.
Ich war damals aus christlicher Überzeugung Krankenschwester geworden und engagierte mich ehrenamtlich in der Pfarrgemeinde: in der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenarbeit. Was wollte ich mehr? Mein Soll an Aktivitäten in der Kirche hatte ich doch erfüllt. Und trotzdem zog es mich immer wieder dahin, solche geistlichen Tage im Kloster zu verbringen.
Das Leben der Mönche strahlte etwas aus; es erschien mir echt und stimmig. Mit der Zeit ist auch mein Glaube lebendiger geworden, und ich habe mich entschlossen, Religionspädagogik zu studieren. Die Begegnungen mit den Männern und Frauen in der Abtei ermutigen mich, mit anderen meinen Weg zu gehen - in eine lebendige, anziehende Kirche.
Ich bin Dirk Salzmann, 22 Jahre alt. Ich habe zunächst Großhandelskaufmann gelernt und habe dann auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachgeholt. Wenn mich jemand fragen würde, für wen ich gehe, so könnte ich das nur von meiner eigenen Lebensgeschichte her beantworten. Ich bin in einer ganz gewöhnlichen Familie aufgewachsen. Unser Zusammenleben war ganz harmonisch. Ich hatte alles, was ich brauchte. Wir gingen jeden Sonntag zur Kirche, meine Eltern waren wie ich in der Gemeinde aktiv und waren sehr gesellig. Man kann, glaube ich, sagen, daß unsere Eltern in der Gemeinde sehr beliebt waren. Als uns meine Mutter dann buchstäblich von einem Tag auf den anderen verließ und zu einem anderen Mann zog, traf mich das wie ein Schlag. Ich war damals 19 Jahre alt. Auch mein älterer Bruder hat das nicht verkraftet und mußte bald darauf für längere Zeit ins Krankenhaus. Mit einem Mal war all das, was immer so sicher und fest erschien, zerbrochen. Ich konnte nur hilflos zusehen, wie meine Familie immer mehr zerbröckelte.
Zu der Zeit fragte ich mich, was denn bleibt, wofür ich leben kann, für wen ich gehen kann. Die einzige Antwort, die ich fand, war: Gott. Gott bleibt, auch wenn alles andere zerbricht. So habe ich ganz neu auf ihn gesetzt. Für ihn will ich leben. Dabei habe ich gespürt, wie mich diese Entscheidung unwahrscheinlich frei werden läßt.
Mein Name ist Ansgar Eickelmann. Ich bin 26 Jahre alt und werde, während diese Sendung ausgestrahlt wird, in der katholischen Stadtpfarrkirche in Iserlohn zusammen mit 10 anderen Priesterkandidaten zum Diakon, zum Dienst an der Gemeinde geweiht.
Wenn ich mich ganz auf Gott einlasse, ist das ein Wagnis. Ich weiß das, aber ich tue es in der Gewißheit, daß ich für einen gehe, der mich kennt und der bereits einen langen Weg mit mir gegangen ist.
Schon lange spüre ich, daß Gott mir nahe ist, und ich merke, wie er an ganz wichtigen Punkten in mein Leben eingegriffen hat.
Für wen gehe ich also? Ich gehe für einen Gott, vor dem ich keine Verrenkung machen muß, um ihm zu gefallen und dem, so glaube ich, an nichts mehr liegt als mich glücklich zu sehen. Ein Gott, der an meinem Leben Anteil nehmen möchte und von dem ich mich unendlich geliebt weiß.
Immer wieder waren es bestimmte Menschen, die mich fasziniert haben: man merkte ihnen an, daß sie in ihrem Leben mit Gott zu tun hatten, daß sie für Gott lebten, und es war offenkundig, wie sie sich mit der Zeit positiv veränderten. Der Umgang mit ihnen hat in mir oft die Frage zurückgelassen: Und für wen gehst du?
Nach und nach wurde mir klar, daß ich nicht „für ihn gehen kann“, wenn ich nicht mit ihm gehen kann. Und daß es Menschen an meiner Seite braucht, die den Weg im Glauben mitgehen: Menschen, für die Gott genauso wichtig ist wie für mich. So erfahre ich Gott zunehmend als einen lebendigen Gott, der seinen Wohnort mitten unter den Menschen hat.
- Musik -
„Willst du nicht mein Diener werden?“, fragt der Rabbi endlich. „Das will ich gern“, antwortet der Nachtwächter, „aber was habe ich zu tun?“ - „Mich zu erinnern“, sagt Rabbi Naftali.
Verehrte Hörerinnen und Hörer, finden Sie nicht auch: es braucht auch heute Menschen, die sich in den Dienst Gottes und der anderen stellen - einfach, weil sie uns daran erinnern, daß es sich lohnt, für Gott zu leben und für ihn zu gehen. Mag sein, daß sie zuweilen als Traumtänzer, als Himmelskomiker oder Nachtwächter belächelt werden. Aber die Frage kann ihnen niemand verbieten: „Für wen gehst Du?"
- Musik -
Das war das Geistliche Wort, heute aus der katholischen Kirche. Es verabschieden sich von Ihnen Peter Klasvogt, Karin Krohn, Dirk Salzmann und Ansgar Eickelmann. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen und erholsamen Sonntag.