| Anzeiger für die Seelsorge

Konflikte in der Pastoral

Kolumne

„Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben.“ (Mk 3,24) Eigentlich eine Binsenweisheit, die sich gleichwohl immer wieder durch die Wirklichkeit belegen lässt. Einigkeit zerbricht, wenn „Recht und Freiheit“ nicht als Regulativ eingebunden werden in die innere Verfassung eines Gemeinwesens. Das erleben wir in der Politik wie in der Wirtschaft, in Vereinen, Unternehmen und Verbänden, aber ebenso leidvoll auch in der Kirche, durch alle Zeiten hindurch und auf allen Ebenen. Dabei ist es oft nicht der Mangel an Gemeinsamkeiten oder das Aufeinanderprallen unvereinbarer Gegensätze, die zum Zerwürfnis führen. Haupttreiber sind zumeist menschliche Defizite wie Neid und Eifersucht, Ehrgeiz und Selbstüberschätzung, Egoismus und Dominanzstreben oder schlicht der Hang zur Selbstinszenierung, die die Stimmung trüben und gemeinsame Bemühungen zunichtemachen.
Phänomene, mit denen sich schon Paulus auseinandersetzen musste: wenn es - wieder einmal - in seinen Gemeinden „menschelte“ und jede Seite ihre Position durch jeweils andere Autoritäten zu untermauern suchte („Ich halte zu Paulus!“, „Ich zu Apollos!“; vgl. 1 Kor 3,4). Angesichts der unterschiedlichen Befindlichkeiten, der Zerstrittenheit über Ziele und Wege, erinnert Paulus an die gemeinsame Basis, die gemeinsamen Interessen zu besinnen. Denn es gibt verschiedene Herangehensweisen, je nach Begabung, Aufgabe und Funktion, die aber nicht über Wert oder Unwert der handelnden Personen entscheiden: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber ließ wachsen. So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt. Wer pflanzt und wer begießt: Beide arbeiten am gleichen Werk, jeder aber erhält seinen besonderen Lohn, je nach der Mühe, die er aufgewendet hat.“ (1 Kor, 3,6-8)
Wie viele Konflikte ließen sich entschärfen, auch in der Pastoral, wenn man dessen eingedenk wäre! Allerdings fehlt es oft an einer beiderseits akzeptierten Autorität, einem Mediator, der den Weg zu einem konstruktiven, gemeinschaftlichen Umgang miteinander ebnet und nach konstruktiven Lösungen sucht, bei denen für beide Konfliktparteien mehr herauskommt als bei einem einfachen Kompromiss. Dabei geht es nicht darum, autoritär oder autoritativ die Diskussion mit einem Basta-Wort abzuwürgen, sondern im Gegenteil die verschiedenen Parteien an einen Tisch zu bringen, emotional abzurüsten und gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten. Das muss nicht immer gleich nach dem „Harvard-Konzepts“ geschehen, das die Konfliktparteien auf deren Bedürfnisse und Interessen, auf deren Anliegen im Konfliktlösungsprozess fokussiert. Aufgabe muss sein, Beziehungsstörungen zwischen den strittigen Parteien, ggf. auch in getrennten Gesprächen, nicht über die inhaltliche Auseinandersetzung dominieren zu lassen. Anstatt sich an den Ansichten oder Forderungen der jeweils anderen Seite abzuarbeiten, wäre es sinnvoller, wenn die „Partner“ nüchtern die jeweils eigenen Interessen herausarbeiteten und nach gemeinsamen Schnittmengen suchten.

Aber Konfliktlösungen im theologisch-pastoralen Umfeld gestalten sich auch deswegen oft schwierig, weil die Versuchung naheliegt, (wenn es denn nicht nur um Eitelkeit oder die unausgesprochene „Machtfrage“ geht,) die eigene Position allzu leichtfertig mit der „Wahrheitsfrage“ zu verbinden, sie spirituell zu überhöhen und damit unangreifbar zu machen. Es wäre eine gute Übung, sich auch bei Konflikten im pastoralen Kontext nicht gegenseitig nicht den guten Willen und die ehrliche Überzeugung abzusprechen. Hier hatte eigentlich schon die mittelalterliche Scholastik vorgebaut, wenn der Gesprächspartner im Rahmen einer „disputatio“ vor der Erwiderung zunächst die „Hypothese“ des anderen stark machen, also Gründe für sie suchen musste („videtur“). Erst wenn der Disputant der Darstellung seiner Hypothese zustimmte, konnte das Gegenüber eine mögliche Gegenposition anschließen („sed contra“) und seine eigene Stellungnahme vorlegen („respondeo“). „An dieser formalen Struktur der disputatio ist bemerkenswert, dass sie bis heute unübertroffen ist in ihrer Offenheit, sich allen Fragen und möglichen Standpunkten zu stellen, und in ihrer Verpflichtung, den anders Meinenden ernst zu nehmen und korrekt wiederzugeben.“[1]
Man mag staunen, wie intellektuell anspruchsvoll bereits im Mittelalter der inhaltliche (und nicht minder emotional geführte) Streit „kultiviert“ wurde, wobei es neben der Erhellung der Wahrheit um die formale Methodenbeherrschung ging. Daran könnten wir uns auch heute ein Beispiel nehmen.

 

[1] Stefan Blankertz: Thomas von Aquin: Die Nahrung der Seele, BoD 2015, 99.