Post aus Jerusalem
Post aus Jerusalem. Aus heiterem Himmel ein Brief von einem ehemaligen Studenten. Ich erinnere mich noch an sein Abschlusskonzert einige Jahre zuvor in der Musikhochschule Detmold. Ralph, ein begnadeter Organist, war hin- und hergerissen, ob er die Musik zum Beruf machen oder nach seinem Theologiestudium nicht doch ins Priesterseminar wechseln sollte. Jahre später traf ich ihn in Jerusalem wieder, damals bereits Mönch der Benediktiner-Abtei auf dem Sion, zunächst noch auf Probe.
Nun also der endgültige Schritt: In seinem Brief schreibt er, dass er „in der Gemeinschaft der Brüder für immer Beständigkeit, klösterlichen Lebenswandel und Gehorsam gelobe". Eintrittskloster gleich Sterbekloster, eine Insel der Stabilität in einer Zeit, da alles im Wandel ist. Eine Entscheidung gegen den Trend, da man sich möglichst alle Wege offen lässt aus Angst, man könne etwas verpassen. Und während die Welt darum bangt, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht eskaliert, macht es sich einer zur Lebensaufgabe, genau auf dem Grenzland zwischen verfeindeten Nachbarn zu siedeln, an jenem Ort, wo schon im Sechs-Tage-Krieg die Demarkationslinie verlief. Das Kloster liegt noch heute genau auf der Grenze zwischen arabischer Altstadt und jüdischer Neustadt.
„Erbittet für Jerusalem Frieden", so beten Juden und Christen schon seine Jahrtausenden an diesem Ort, unweit von Abendmahlssaal und Klagemauer: Friede nicht nur als Geschenk, sondern auch als Aufgabe, mehr als nur Waffenstillstand und Friedhofsruhe. Da braucht es Menschen, die eine Ahnung haben, dass Friede auf dem Boden der Gerechtigkeit, der Aussöhnung, des Verzeihens gedeiht. Dafür leben die Mönche auf dem Sion, und darum beten sie. Wer in ihre Mauern kommt, erahnt, dass der Frieden, der von innen kommt, ein Geschenk Gottes ist.
Dorthin gehen, wo Völker, Kulturen und Religionen aufeinander prallen. Dort bleiben, wo Menschen sich nicht mehr verstehen. Dort beten, wo Worte angesichts der Spirale von Angst, Misstrauen und Gewalt versagen. Das ist der Ort, dem Ralph sich verpflichtet fühlt, die Herausforderung, für die er das eigene Leben in die Waagschale wirft. Er hat seinen Platz gefunden, und der ist wahrlich nicht nur in Jerusalem.