| Anzeiger für die Seelsorge

Theologische Bildung

Kolumne

Studieren Sie! Studieren Sie! Studieren Sie! Kaufen Sie Bücher, machen Sie Schulden...!“ Der Rektor versuchte den Studienanfängern die hohe Schule der Theologie nahezubringen, um dann bedächtiger fortzufahren: Aber am Ende des Studiums muss all Ihr Wissen einen großen Resonanzboden bilden: wie bei einer Geige, auf der Sie eine einfache, zarte Melodie spielen:“ Ein faszinierendes Bild, das in bestechender Plastizität den Zusammenhang von Wissen und Weisheit zeichnet, ein Spannungsbogen, der auf die seltene, aber notwendige Gabe und Begabung anspielt, profundes Wissen einfühlsam und verständlich ins „Spiel“ zu bringen: konzentriert, kreativ, kommunikativ. Es braucht Neugier, Ausdauer und Fleiß, ja Leidenschaft (manche sprechen von Eros), „dahinter“ kommen zu wollen: Hintergründe und Zusammenhänge zu erkennen und sich nicht mit der Repetition des (vom Dozenten selbst herausgegebenen) Skripts zufrieden zu geben. Wie umgekehrt „Bücher-Nerds“ Gefahr laufen, aus der Zeit zu fallen und in ihrer theologischen Sonderwelt den Kontakt zur Lebenswirklichkeit der Zeitgenossen zu verlieren. Der Theologe von heute, so hatte Kardinal Marx einmal formuliert, halte in der einen Hand die Bibel und in der anderen die Tageszeitung (mit Wirtschaftsteil und Feuilleton). Umfassende theologische Bildung darf nicht an der Oberfläche bleiben, sondern erfordert Weite und Tiefendimension.

Aber wer studiert heute noch, indem er dicke (oder gar mehrere) Bücher liest? Die Frage klingt subversiv. Hat sich das Bildungs- und Studierverhalten nicht grundlegend verändert? In einer sich immer schneller drehenden Welt und schnelllebigen Zeit braucht man schnelle Antworten – und die findet man natürlich auf der Benutzeroberfläche im Internet, bei Google und Wikipedia: für gedanklich wendige und methodisch versierte „Pfadfinder“ durchaus hilfreich in der Orientierungsphase, wie ja auch (vormals) Lexikon-Artikel kurz und kompakt einen ersten Überblick über eine Fragestellung, einen Themenkomplex ... verschaffen können. Aber entscheidend wird sein, ob es gelingt, umfassendes theologisches Wissen anzueignen und zugleich sprachlich und intellektuell im binnenkirchlichen wie interkulturellen und interreligiösen Gespräch dialog-und anschlussfähig zu sein. So wenig schon in der Vergangenheit „ewige Wahrheiten“ einfach von oben herab doziert werden konnten, sondern plausibel und damit einsichtsfähig gemacht werden mussten, so sehr ist in einer globalen, polyzentrischen (Wissens)Welt die Notwendigkeit dialogischen Denkens gefragt, mithin die Bereitschaft zum Hören und Lernen, Deuten und Übersetzen. (Ob jeder Theologe dann des Hebräischen, Altgriechischen und Lateinischen mächtig sein muss, sei dahingestellt; an Auslandserfahrungen und Grundkenntnissen in modernen Sprachen sollte es jedenfalls nicht fehlen.)

Doch wo angesichts der ungeheuren digitalen Informationsflut und des weltweit exponentiellen Wissenswachstums mehr denn je eigenständiges und dialogisches Denken gefragt ist, verleitet das Internet zu unkritischer Übernahme ganzer Textpassagen –eine vornehme Umschreibung für „Textdiebstahl“, so der Medienwissenschaftler Stefan Weber in seinem Buch "Das Google-Copy-Paste-Syndrom" (2007). Die Beziehung zum Text ist dann „nicht mehr inhaltlicher, sondern 'editorischer' Natur“, denn wer mit Textbausteinen aus dem Netz jongliert, liest flüchtig und erfasst Inhalte höchstens oberflächlich.[1] Wenn heutzutage viele Bachelor- und Masterarbeiten aus einer Aneinanderreihung von Zitaten bestehen und nur eine oberflächliche Analyse betreiben, wohingegen der Blick für die großen Zusammenhänge fehlt, muss das zu denken geben. Denn im digitalen Zeitalter erfordert (theologische) Bildung auch Medienkompetenz, da „das Lesen von Online-Texten“, so Nicholas Carr, „zu oberflächlichem Lernen und hastigem Denken führt. Durch die Überfrachtung mit Reizen werden – anders als beim Lesen eines Buches – die aufgenommenen Informationen gar nicht im Langzeitgedächtnis abgelegt“.[2]

Vielleicht liegt darin die eigentliche Herausforderung für die WissensCommunity: vom „hastigen Denken“ wieder umzuschalten auf das Ausloten des Wahrheitsgehalts von Informationen, das Bedenken der Konsequenzen und das Einordnen in größere Zusammenhänge: sich das angelesene Wissen auch anzueignen und zu lernen, souverän und kreativ damit umzugehen, vielleicht sogar - warum nicht – im Spiel jener „einfachen, zarten Melodie“ der persönlichen Überzeugung.

[1] vgl. ZEIT online, 29. März 2007, 14:00 Uhr Aktualisiert am 19. März 2008, 11:58 Uhr.
[2] Tanja Walter, rp-online.de, 13. April 2016 | 13.15 Uhr)