Unterwegs zur eigentlichen Heimat - What a wonderful world
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer,
„Was für eine wunderbare Welt!“ Was für ein Geschenk, heiter und positiv gestimmt in den neuen Tag zu gehen, lebensfroh, in dem Bewußtsein, die Welt steht mir offen, alles ist Geschenk für mich - und ich bin Geschenk für andere.
Louis Armstrong, von dem dieses Lied (im Hintergrund) stammt, verkörpert wohl wie kaum ein anderer diese positive Lebenseinstellung. Er transportiert sie über seine Musik in die Herzen der Menschen. Seine Musik hinterlässt ein Gefühl tiefer Dankbarkeit, die uns sagen läßt: Ja wirklich: das Leben ist wunderbar.
Dabei hätte jener schwarze Jazz-Musiker mit der vollen, weichen Stimme, durchaus Grund gehabt, über sein Schicksal zu klagen. Bald nach seiner Geburt lässt der Vater die junge Familie sitzen und macht sich aus dem Staub. Der kleine Louis wächst bei der Großmutter auf, später lebt er mit Mutter und Schwester in einer herunter gekommenen Zwei-Zimmer-Wohnung in einer schäbigen Gegend in New Orleans, wo man die Armut geradezu riecht. Mit 11 Jahren wird er von einem Polizisten aufgegriffen und in ein Heim gesteckt. Dort bekommt er Musikunterricht und leitet schon bald seine erste Band.
Die Musik ist es schließlich, die seinem Leben Glanz und Farbe gibt: einen Zauber, der ihm hilft zu leben und der sich auf alle legt, die ihn hören. Louis Armstrong hat schon eine lange Karriere hinter sich, als er seinem Lebensgefühl schließlich auch Stimme verleiht. Nicht jemand, der naiv und unbedarft vor sich hinträllert und die Welt in Bonbonfarben sieht. Das schlichte Bekenntnis zu dieser wunderbaren Welt steht fast am Ende seines Lebens. Man darf es vielleicht als eine Synthese seiner Erfahrung und Hoffnung verstehen. Da beginnt einer zu singen, der an den Härten des Lebens gewachsen und durch Krisen gereift ist; der tiefer sieht und hinter allem Vordergründigen das Bleibende und Wahre erkennt: das Wunderbare dieser Welt – eine Homage an den, der diese Welt so wunderbar geschaffen hat.
Musik I
Das Bekenntnis zu dieser wunderbaren Welt muß sich allerdings erst noch bewähren, wenn die Sonne einmal nicht scheint, wenn mir nicht alle Türen offen stehen, und wenn ich nicht mehr jedermanns Liebling bin.Solche Zeiten kommen unweigerlich für jeden von uns, früher oder später. Die schöne, heitere Welt bekommt plötzlich oder schleichend Risse:Wenn die Kinder aus dem Haus ziehen und vielleicht ganz andere Wege einschlagen als die Eltern sich das vorgestellt haben. Wenn sich kleine oder größere gesundheitliche Probleme einstellen, der Gedanke an eine schwere Krankheit nicht mehr zu verdrängen ist, wenn der Verlust eines lieben Menschen, der Abbruch einer Beziehung, die Enttäuschung über mich selbst, über andere zu beklagen ist. An solchen Stationen unseres Lebensweges muss sich zeigen, ob unser positives Lebensgefühl tiefere Wurzeln hat oder ob es im zerbrechlichen Glück eines Tages, einer Stimmung zu Hause ist. „Der Mensch bleibt nicht in seiner Pracht, er gleicht dem Vieh, das verstummt“, so heisst es sehr drastisch im 49. Psalm. Daran muss ich oft denken, wenn ich bei einer Beerdigung hinter dem Sarg hergehe oder von einem Kondolenzgespräch mit den trauernden Angehörigen komme. Aber dann trösten mich die Worte, mit denen der Psalm fortfährt: „Doch Gott wird mich loskaufen aus dem Reich des Todes. Ja, er nimmt mich auf. “Bis das geschieht, sind wir unterwegs zur eigentlichen Heimat. Kein Zweifel: Diese Wege sind zuweilen recht mühsam und ziehen sich lang. Am Anfang mag alles leicht, einfach, unbeschwert sein, und wir mögen uns dankbar an solche Tage erinnern, da wir einfach in den Tag und in unser Leben hineingelebt haben. Aber es stellt sich früher oder später unausweichlich die Frage: Was bleibt? Was hat letztlich wirklich Wert? Wohin geht die Reise? „Unruhig ist unser Herz, bis es Heimat findet in Dir“, so formuliert Augustinus das Ende einer langen Suche in seinen „Bekenntnissen“. Auch seine fromme Mutter Monika konnte nicht verhindern, dass er als Jugendlicher ein ziemlich ausschweifendes Leben führte und schließlich in den Fängen einer Sekte landete. Er war bereits Professor in Mailand, als er den damaligen Bischof Ambrosius kennen lernte, dessen Predigten ihn zutiefst beeindruckten. Eines Tages stieß er beim Aufschlagen der Bibel auf ein Wort, das seinem Leben schließlich die entscheidende Wende gab: „Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag ... ohne Unzucht und Ausschweifung“. Augustinus ließ sich taufen, legte alle seine Ämter nieder und wurde schliesslich Priester, bald darauf Bischof. In seinen „Bekenntnissen“ lässt er die Scham über die „verpfuschten“ Jahre seines Lebens durchblicken, aber auch die tiefe Dankbarkeit über die Wende, die sein Leben schliesslich genommen hat: „Spät habe ich begonnen, dich zu lieben, o Schönheit, alt und ewig neu. Du hast gerufen und geschrien und meine Taubheit durchbrochen. “Vielleicht war es notwendig, dass dieser bedeutende Kirchenlehrer Augustinus selbst durch ein Tal der Tränen gehen und seine Begrenztheit und Schwachheit am eigenen Leib erfahren musste. Wer wie er in die eigenen Abgründe geschaut, aber auch den Großmut und die Liebe Gottes kennen gelernt hat, der dürfte dann auch mit seinen Mitmenschen barmherziger umgehen; der weiß, dass bei all unserem Bemühen vor allem Gott es ist, der uns auf dem Weg zur eigentlichen Heimat vorangeht: „Deine Gnade ist es, o Herr, dass es mir Freude macht, dich zu loben, denn auf dich hin hast du uns geschaffen: und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.“ so beschreibt er Jahre später sein damaliges Suchen und Ringen, aber auch die Gnade des Neuanfangs.
Musik II
Die entscheidende Wende im Leben des heiligen Augustinus erinnert mich an Elpidio, einen jungen Mann, den ich bei einer Brasilienreise im letzten Jahr kennen lernte: in einer Therapieeinrichtung für Alkohol- und Drogenabhängige in der Nähe von Sao Paolo. Fazenda da Esperanza, also „Hof der Hoffnung“ heißt die Einrichtung, und es ist tatsächlich die Hoffnung, die bewegt und trägt. Elpidio erzählt, dass sie Zuhause früher eine ganz normale, glückliche Familie waren. Aber da sind auch Erinnerungen, wie sein Vater die Mutter schlägt. Die Mutter ist dann fremd gegangen, konnte sich diesen Fehltritt aber selbst nie verzeihen und hat schließlich Selbstmord begangen. Der Vater kümmert sich nicht mehr um die Familie. Die älteren Geschwister heiraten; er selbst landet als 10jähriger auf der Straße. Um als Straßenkind zu überleben, ist er zu ungeschickt. Irgendwie schlägt er sich mit kleinen Diebstählen durch. Dann kommt es auch zu größerer Kriminalität und Gewalttätigkeit; schließlich hat er auch Menschen umgebracht. Er wird mehrmals verurteilt und sitzt sieben Jahre im Gefängnis. In einer Zelle, die für sechs ausgelegt ist, sind sie zu 40; in einer Zelle für 40 Häftlinge sitzen sie zu 120 ein. Als er aus dem Gefängnis kommt, versucht er, die verlorenen Jahre nachzuholen; er hat eine Beziehung nach der anderen. Trotzdem hat er den Eindruck, daß er im tiefsten Inneren ein ganz anderer Kerl sei, und es ekelt ihn vor sich selbst. Mit einem Mal geht ihm auf: es ist ein Wunder, das er überhaupt noch am Leben ist. Weder die Straße noch die Gefängnisse noch die Polizei, die ihn oft gefoltert hatte, haben ihm das Leben nehmen können. In dieser Situation wendet er sich an eine befreundete Sozialarbeiterin und bittet sie, ihm dabei zu helfen, ein normales Leben anzufangen. Auch wenn sie dem überraschenden Sinneswandel nicht traut, erkundigt sie sich schließlich nach einer Möglichkeit und verweist ihn an die Fazenda da Esperanca, allerdings mit der Bemerkung, daß die Bedingungen wohl zu hart für ihn seien: Er müsse dort ein ganzes Jahr aushalten, es gäbe weder Fernsehen noch Frauen, keine Zigaretten, kein Alkohol, sondern nur harte Arbeit. Aber der Wille in ihm, neu anzufangen, ist so stark, daß er sich sagt: ”Wenn ich sieben Jahre im Gefängnis überlebt habe, dann werde ich auch dieses eine Jahr in der schönen Natur durchstehen.” Das war der Anfang seines neuen Lebens. Bei der Eingangsuntersuchung stellt man fest, daß er HIV-positiv ist. Das spornt ihn an, aus der noch verbleibenden Zeit das Beste zu machen: sich für die Kollegen auf der Fazenda einzusetzen, als erster zu lieben, mit gutem Beispiel voranzugehen, den anderen während der schwierigen Phase des Entzugs zu helfen, sie zu trösten ... Er besucht dann auch das Sterbehaus, in dem die Aidskranken in der letzen Phase ihres Lebens liebevoll gepflegt und begleitet werden, in dem sie auch sterben können – mit einer Würde, die den meisten zu Lebzeiten vorenthalten war. Er versöhnt sich mit seinem Schicksal und beschließt, bis an sein Lebensende auf der Fazenda zu bleiben. Dabei entdeckt er auch die spirituellen Grundlagen dieses Therapiekonzepts und erkannt, daß hinter dem Sozialprojekt eine geistliche Familie stand: Männer und Frauen, die Gott ihr Leben für den Dienst an den Drogenabhängigen geschenkt haben. Das begeistert ihn so sehr, daß er schließlich selbst um Aufnahme in diese Gemeinschaft bittet. Mittlerweile ist er 35 Jahre alt. Klinisch hätte er bereits seit Jahren tot sein müssen. Die Werte seiner Immunschwächekrankheit sind jedoch entgegen jeder ärztlichen Prognose seit Jahren stabil: für Elpidio die Bestätigung dessen, was ihm ein Franziskanerpater einmal gesagte hatte: „Elpidio, wenn du stirbst, dann wird es nicht an Aids sein.”
What a wonderful World. Was für eine wunderbare Welt, in der wir leben was für eine wunderbare Welt, für die wir geschaffen sindund die uns erwartet, wenn wir einmal die Schwelle des Todes überschreiten:doch nicht eigentlich des Todes, denn es ist der Übergang zum Leben- einem Leben bei Gott, das nicht mehr endet.Ja, Gott nimmt mich auf. Das ist die Lebensperspektive, die meinen Schritten weiten Raum gibt - und festen Boden unter meinen Füssen.Mit dieser Gewissheit kann ich auch unter Tränen von dem Wunderbaren singen,das Gott in seine Schöpfung gelegt hat und das mich einmal erwartet, so meine feste Überzeugung, wenn ich die Schwelle des Todes überschreite. Jene letzte Begegnung im Tod, jenen Übergang, stelle ich mir so vor, wie ich es einmal auf einem Poster gesehen habe. Es zeigt Mutter Teresa, die sich über einen Sterbenden auf den Strassen von Kalkutta beugt. Und darunter ihre Worte: „Da bist du ja endlich! Ich habe dich schon so lange gesucht!“
Musik III, darin:
Das war das Geistliche Wort. Heute aus der Katholischen Kirche. Aus Paderborn verabschiedet sich Peter Klasvogt. Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag.