„Wozu brauchen wir Priester?“
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer, mein Name ist Peter Klasvogt. Ich lebe in Paderborn und bin dort als Regens des Priesterseminars in der die Ausbildung katholischer Priester tätig.
Im letzten Jahr machte eine Anzeigenkampagne auf sich aufmerksam, die sich einem ungewöhnlichen Thema und einer ausgefallenen Berufsgruppe widmete. Ein Plakat zeigte einen netten jungen Mann im bunten T-Shirt, mit blond gefärbten Haaren und einem Fußball in der Hand. Darunter der Anzeigentext: „Wir brauchen keine frommen Jung‘s. Wir brauchen Priester!“
Die Reaktionen waren höchst unterschiedlich. Es gab viel Zustimmung: Endlich ein Priesterbild, das den Priester aus der Enge der Sakristei herausführt und ihn mitten ins Leben stellt! Doch machte sich auch lautstarker Widerstand breit: Was wir in der gegenwärtigen Kirchenkrise brauchen, sind gerade fromme Priester!
Und inmitten der engagiert geführten Diskussion um das wahre und zeitgemäße Priesterbild finden sich jene, die heute Priester werden: ein jeder mit seinen Idealen und Träumen, aber auch den eigenen Grenzen und Befürchtungen. Die Frage, die ihnen immer wieder gestellt wird, und der sie sich selbst auch nicht entziehen können: „Wozu brauchen wir überhaupt Priester? Warum macht ihr das? Was ist Euch daran so wichtig?“
Ich bin jedes mal erstaunt und überrascht, mit welchem Ernst und welcher Entschiedenheit, aber auch Begeisterung und innerer Zufriedenheit heute jemand Priester werden will. Oft ist es das Ergebnis eines langen Lebensweges, mit Abbrüchen, Umwegen, sehr persönlichen Lebenserfahrungen. Einer hat seine Motivation und Überzeugung in dem lapidaren Satz zum Ausdruck gebracht: „Ich liebe Gott, und ich möchte, daß auch andere ihn kennenlernen.“ Für diese Überzeugung ist er bereit, alles hint‘ an zu stellen, was ihm vorher wichtig war: ein akzeptierter Beruf, Geld, Karriere, Freundin, Familie ...
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Vor wenigen Tagen haben wir in Paderborn mit einem neuen Vorbereitungskurs auf die Priesterweihe begonnen. Es sind diesmal dreizehn, die nach abgeschlossenem Theologiestudium mit Freude, aber auch in großer Erwartung auf den Tag ihrer Priesterweihe schauen: wenn sie in der überfüllten Domkirche vor den Bischof treten und ihre Bereitschaft erklären, sich Gott in der Kirche mit ihrer ganzen Existenz zur Verfügung zu stellen, mit Haut und Haaren. Und zwar für immer. Lebenslänglich.
Da wird kein Anstellungsvertrag unterschrieben, kein Beschäftigungsverhältnis mit begrenzter Laufzeit und gegenseitigen Kündigungsfristen vereinbart. Jeder Kandidat legt sich flach auf den Boden zum Zeichen seiner eigenen Ohnmacht. Und der Bischof legt ihm schweigend die Hände auf und betet über ihn. So wird seine Lebensentscheidung besiegelt und er als Priester in Dienst genommen.
Einer von denen, die in diesem Jahr zum Priester geweiht worden sind, ist Lars Hofnagel, 30 Jahre alt. Seit drei Monaten lebt er als Vikar in einer Gemeinde in Bielefeld. Haben sich seine Erwartungen und Vorstellungen erfüllt? Was beschäftigt ihn? Wie wird er in der Gemeinde in Anspruch genommen?
In der Gemeinde, wo ich jetzt seit Mitte Juli bin, war in den letzten Jahren kein Vikar, sondern nur der Pfarrer, und mir kommt jetzt von den Menschen eine große Freude und Sympathiewelle entgegen, die einfach sagen: “Schön, daß sie einfach da sind, daß sie hier jetzt mit uns leben wollen.” Ich merke ganz stark, daß ich beansprucht werde von den Menschen. Sie fordern mich auf, einfach dabei zu sein in ihrem täglichen Leben, als Gemeinde in diesen unterschiedlichsten Bereichen, in denen sie aktiv sind. Da ist eine Jugendleiterrunde zum Beispiel, die sich darüber freut, daß ich mich abends mit ihnen zusammensetze, wir Ideen spinnen und Sachen für Jugendliche vorbereiten und schauen, wie kann es weitergehen mit unserer Jugendarbeit in der Gemeinde. In vielen Bereichen bin ich auch für die Menschen eine Stütze oder Impulsgeber für ihr eigenes Glaubensleben. Da sind zum Beispiel die Leute, die die Jugendlichen auf die Firmung vorbereiten, die sagen, wir brauchen noch etwas für unseren eigenen Glauben, wir wollen nicht auslaugen dabei, was wir mit den Jugendlichen machen, wir wollen auch dabei weiterkommen. Und so werden wir uns mit diesen Menschen treffen mit den Erwachsenen. Dann setzen wir am Anfang immer einen geistlichen Impuls, wo ich versuche, an deren Glaubensleben anzuknüpfen und ihnen etwas Neues zu erschließen, sie auf einen neuen Gedanken zu bringen, der sie weiterbringt. Ich gehe regelmäßig ins Altenpflegeheim, wo wir einmal im Monat einen Gottesdienst feiern mit Kommunionfeier. Da kommen zunächst einmal die Menschen zusammen, die noch gehen können. Mit denen feiere ich dann in einem kleinen Kreis einen Gottesdienst, aber danach gehe ich in die Zimmer zu den Bettlägerigen, und ich nehme mir auch Zeit mit ihnen zu sprechen, mich mit ihnen zu unterhalten, ihnen dann die Kommunion zu reichen, sei es aber einfach nur einmal, daß ich da bin und ein ihnen bekanntes Gebet mit ihnen spreche. Und ich merke, daß derjenige seine Lippen anfängt zu bewegen und mitbetet. Regelmäßig habe ich natürlich auch Gespräche mit Trauernden, und ich merke einfach, daß es den Menschen gut tut, daß sie jemandem erzählen können von diesen letzten Minuten und Momenten, die sie mit dem Verstorbenen verbracht haben. Es sind Gespräche, wo ich nicht einfach da bin, um Worte des Trostes zu sagen: einfach da sein, zuhören - und es sind Momente, wo Stille ist und die Trauernden in meiner Gegenwart weinen und ihre Trauer einfach ´rauslassen. Ich feiere mit der Gemeinde täglich Gottesdienst, und es tut gut, dann auch zu hören von einer Dame z. B., die dann zu mir kommt und sagt: “Mensch, wie sie mit uns die Gottesdienste feiern, was sie uns so sagen, das gibt mir das Gefühl wirklich zu Hause zu sein.“ Und das stellt mich natürlich innerlich sehr zufrieden und diese Beanspruchung in der Gemeinde, so anstrengend sie auch oft sein mag, erfüllt mich einfach. Und ich habe das Gefühl, ich bin da, lebe in der Gemeinde. Bis dahin war es natürlich ein langer Weg. Ich habe mich sehr intensiv vorher in Zeiten des Studiums mit dieser Entscheidung Priester zu werden auseinandergesetzt. Da war ganz wichtig im Wesen für mich einen Gebetsweg entdeckt zu haben, eine tiefe Verbindung zu Jesus Christus aufzubauen und mich wirklich zu fragen, ist es das, was Gott von mir will? Will er mich hier in dieser Kirche haben? Und ich vertraue darauf, daß er mich, so wie ich bin und mich mit meinen Fähigkeiten in dieser Kirche stellen möchte als Priester und ich mich so auch einbringe und die Kirche mitgestalte.
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Natürlich höre ich oft die Frage nach dem Zölibat oder der Priesterweihe der Frau; und all das sind ja auch Fragen von Gewicht und Bedeutung. Und ich hoffe, daß sich viele darum sorgen, daß es auch heute und morgen noch Priester gibt. In einer Welt, in der es vor allem um Leistung, Effizienz und Optimierung geht, mutet es sonderbar, ja archaisch an, wenn einer vor allem dafür lebt, daß das Menschsein nicht auf der Strecke bleibt und die Erinnerung an den Himmel wachgehalten wird.
Auf der Jagd nach dem Kick, der flüchtigen Lust des Augenblicks ist es schwer, auf das Wesentliche zu kommen. Aber die Frage läßt sich nicht verdrängen. Und spätestens, wenn ein Verlust, eine Niederlage, vielleicht auch Krankheit und Tod am Rande der Spaßbühne auftauchen, stellt sich mit um so größerer Heftigkeit die Frage: Wozu das alles? Was bleibt letztlich? Und was gilt wirklich? Wenn es um‘s Ganze geht; wenn alles auf dem Spiel steht; wenn alles zu Ende geht - da wird vielleicht am deutlichsten, wozu es den Priester braucht: daß er Gott zur Sprache bringt, daß er Worte des Trostes hat, die nicht leer und kraftlos sind, nicht leicht dahin gesagt und morgen schon vergessen, daß er uns hilft, mit unserer Sehnsucht an den Himmel zu rühren.
Ich bin mir sicher: die Menschen erwarten keinen perfekten Priester. Aber sie hoffen, daß er zuhören und sie ganz verstehen kann, daß er Anteil nimmt und verantwortungsbewußt handelt.
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Wozu brauchen wir Priester? Man könnte auch umgekehrt fragen: Wozu braucht Gott Priester? Als Jugendlicher fand ich mich einmal unversehens in der Ludgeri-Kirche in Münster. Dort gibt es eine Christusfigur, der im Krieg beide Arme abgeschlagen sind. An dem Querbalken des großen Holzkreuzes ist zu lesen: „Ich habe keine anderen Hände als die Euren“. Dazu braucht es Priester: Menschen, die nicht etwa aus sich etwas Besonderes sind, die Jesus aber ihren Mund und ihre Hände leihen: damit er auch heute, wie damals vor 2000 Jahren, bei den Menschen ankommen kann. Sie wollen mithelfen, daß auch andere Gott kennenlernen, zu ihm finden, mit ihm sprechen; im Namen Gottes dürfen sie sogar Vergebung zusagen.
Weil der Priester aus den Menschen genommen ist, steht er nicht über ihnen. Er ist genauso endlich, er braucht wie alle anderen Vergebung und Heilung, auch hat er nichts anderes als Glaube, Hoffnung und Liebe. Was er als Priester ist, ist er alles durch Christus.
Verehrte Hörerinnen und Hörer: es braucht auch heute Menschen, die sich mit ganzer Hingabe in den Dienst Gottes und der anderen stellen - einfach, weil sie uns daran erinnern, daß es sich lohnt, für Gott zu leben. Mag sein, daß sie zuweilen als unbedarft oder weltfremd belächelt werden. Aber an ihrem Lebenszeugnis kommt niemand vorbei.
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Das war das Geistliche Wort, heute aus der katholischen Kirche. Es verabschiedet sich von Ihnen Peter Klasvogt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen und erholsamen Sonntag.