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Die Gestalt des Priesters und die vielen Priesterbilder

Erneuerung priesterlicher Identität aus den Fundamenten

In necessariis unitas – Grundkonsens priesterlichen Selbstverständnisses

„Wie geblasen, so geritten!“ - Nach der Lethargie vergangener Jahre klingt das Motto des Paderborner Spirituals nach 30-jähriger Seelsorge an Priestern und solchen, die es werden wollten, immer noch – oder wieder - wie ein Fanfarenstoß und Aufbruchsignal. Doch wohin geht die Reise? Welche Signale sollen denn heute im Blick auf einen verantwortungsvollen priesterlichen Dienst wahr- und ernst genommen werden? Das entschlossene Blasen allein zeigt jedenfalls noch nicht die Richtung an, und angesichts der Umbrüche und Unübersichtlichkeiten entbehren Durchhalteparolen oder selbstinszenierte Aufbrüche zwar nicht einer gewissen autosuggestiven Wirkung, haben aber primär den therapeutischen Charakter des mutig durch die Backen geblasenen Kindermutmachlieds und lenken von der eigentlichen Herausforderung und Problemlösung ab.

Der Rückgang an Priesterberufungen in Westeuropa ist bedrückend. Allein in den deutschen Diözesen ist die Zahl der Priesterkandidaten innerhalb von zehn Jahren um rd. 50% zurückgegangen. Nach den „fetten Jahren“ (zwischen 1985 und 1995) sind jetzt magere Zeiten ausgebrochen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Ursachen für den Rückgang mögen mannigfaltig sein: angefangen von den demographischen Veränderungen bis hin zu den Einflüssen der postmodernen Erlebnisgesellschaft, in der die ernsthafte Frage nach Gott und seinem Willen verstellt zu sein scheint. Dies bedrückt umso mehr, als dieses Lebensgefühl nicht nur ein gesellschaftliches Phänomen ist, sondern auch das kirchliche und gemeindliche Leben zunehmend erfasst und prägt. Diese vielfältigen Brüche und tektonischen Verschiebungen in Kirche und Gesellschaft gehen auch an den Priestern selbst nicht spurlos vorbei, und vorsichtige Schätzungen und Umfragen lassen erahnen, dass viele Priester selbst hinsichtlich ihrer priesterlichen Identität verunsichert sind.

In Zeiten des Infragestellung und der Verunsicherung braucht es die Besinnung und Verständigung auf die Fundamente und den Kern priesterlicher Identität, die „essentials“; die Adaption und je individuelle Umsetzung bleibt dann Aufgabe eines jeden einzelnen.

 

Sacramentum unitatis – Der ekklesiologische Ort des Priesters

„Als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen“ (Mark Twain). Es gilt das Ziel im Blick zu behalten, wenn in vielen Ortskirchen Westeuropas Umbaumaßnahmen größeren Ausmaßes anstehen, weil die überkommene Pfarrstruktur in der Folge des Priestermangels nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. In Frankreich hat es schon in den 80er Jahren Diözesansynoden gegeben, auf denen die Zusammenlegung von Pfarreien beschlossen wurden, im deutschsprachigen Raum kommt es derzeit zu neuen Aufteilungen pastoraler Räume, mögen sie nun „Pfarreiengemeinschaften“, „Seelsorgeeinheiten“ oder „Pastoralverbünde“ ... heißen. Dabei ist das Bemühen erkennbar, nicht nur aus der Not heraus zu handeln, sondern neu den Auftrag und die Sendung der Kirche zu überdenken, und mit gestärktem Selbstbewusstsein die Netze auf’s Neue auszuwerfen.

Da mag es hilfreich sein, an die Selbstdefinition zu erinnern, die sich die Kirche selbst im Zweiten Vatikanischen Konzil ins Stammbuch geschrieben hat: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ (LG 1) Wie immer Pfarrgrenzen gezogen werden: Auftrag der Kirche ist es, in ihrer Präsenz bereits die Anwesenheit des dreifaltigen Gottes anzuzeigen und dazu einzuladen, sich hineinnehmen zu lassen in die Einheit mit Gott und untereinander. Dem dient die Feier der Eucharistie, vinculum unitatis, in der die Vielen teilhaben am Leib Christi, wie Augustinus formuliert: „Empfangt, was ihr seid: Leib Christi“1. So wird die communio der Kirche am intensivsten in der Eucharistie dargestellt wie auch gestiftet. Dieser Einheit mit Gott und untereinander dient auch die Feier der Versöhnung, die Gott der Kirche aufgetragen hat, um alle durch die Sünde hervorgerufene Trennung zu überwinden. Gleichzeitig endet ihre Mission nicht an der Kirchentüren; sie verkörpert im Gegenteil den universalen Heilswillen Gottes, alles und jeden hineinzuholen in die Einheit mit dem lebendigen Gott. Ein Mehr an Tiefe und ein Mehr an Weite, in dieser Spannungseinheit vollzieht sich der Auftrag der Kirche: communio und missio, Sammlung um den Herrn und Sendung bis an die Grenzen der Erde. Dem dient der Auftrag, hinauszugehen und aller Welt das Evangelium zu verkünden und die Menschen auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen.

Einheit ist also die regulative Idee und das Ziel, auf das jede pastorale Aktivität angelegt ist, Perspektive jeden seelsorglichen Handelns und Planens: der Aufbau der Gemeinde Christi, in allem zu wachsen, bis wir ihn, Christus, erreicht haben und ihn in seiner Vollgestalt darstellen (vgl. Eph 4, 13.15). Die Kirche ist das Werk Jesu Christi. Er ist es, der in seine Kirche beruft. Er ist es auch, der Anteil an seiner Sendung gibt. Vom Wesen der Kirche her und aus der Mitte ihrer Sendung und ihres Selbstvollzugs heraus ist dann auch der Ort des Priesters zu bestimmen. Wenn Ignatius von Antiochien die Kirche dort verortet, wo der Bischof ist: „ubi episcopus, ibi ecclesia“, dann ist dort auch der Platz des Priesters, der als Mitarbeiter des Bischofs eingebunden ist in das Presbyterium um den Bischof, jene „sakramentale Bruderschaft“, von der das Konzil spricht.

 

Unio cum Christo – Die christologische Identität des Priesters

„Seid Ihr bereit, Euch Christus, dem Herrn, von Tag zu Tag enger zu verbinden und so zum Heil der Menschen für Gott zu leben?“ Die letzte Frage, die in der Weiheliturgie an die Kandidaten gerichtet wird, ist jene nach der persönlichen Heiligkeit und Hingabe: an Gott – für die Menschen. Seinen Heiligungsdienst wird der Priester nur angemessen ausfüllen können, wenn er selbst mit dem Heiligen par excellence, Christus selbst, in Tuchfühlung bliebt. Der Priester kann nur aus der Einheit mit Christus, wenn er selbst also auf ihn ausgerichtet ist, dessen Liebe zu den Menschen mitleben. Es ist zugleich die schwerste Frage, auf die die Kandidaten antworten müssen, denn hier liegt es nicht nur am guten Willen, sondern auch an der Gnade Gottes: „Mit Gottes Hilfe bin ich bereit“. Diese letzte Bereitschaftserklärung vor der Weihe hat den Klang jener zurückhaltenden Antwort des Petrus. „Du weiß alles. Du weißt auch, dass ich dich liebe“ (Joh 21,17). Das meint Papst Johannes Paul II, wenn er in seinem postsynodalen Schreiben „Pastores dabo vobis“ formuliert: „Der Priester findet die volle Wahrheit seiner Identität darin, sich von Christus herzuleiten, in besonderer Weise an Christus teilzuhaben und eine Weiterführung Christi, des einzigen Hohenpriesters des Neuen und Ewigen Bundes, zu sein: Er ist ein lebendiges und transparentes Abbild des Priesters Christus.“2

Das Konzil spricht im Blick auf die Verbundenheit des Priesters mit Christus von einem unauslöschlichen Merkmal, dem character indelebilis: ein Begriff aus der Spätantike, der den Eigentumsstempel meint, der einem Ding, einem Tier – oder eben einer Person -eingeprägt wird und nicht mehr ausgetilgt werden kann. Wie der Priester sich in der Weihe Christus übereignet, so wird seine Lebensübergabe von Christus angenommen und besiegelt. „Charakter bedeutet Zugehörigkeit, die der Existenz selber eingeprägt ist. Insofern drückt das Bild vom Charakter wiederum das Bezogensein, das Verwiesensein aus ... Und zwar ist es eine Zugehörigkeit, die man nicht selbst verfügen kann; die Initiative kommt dazu vom Eigentümer – von Christus. ... Insofern beschreibt das Wort Character den seinshaften Charakter des Christusdienstes, der im Priestertum liegt, und verdeutlicht zugleich, was mit seiner Sakramentalität gemeint ist.“3

Diese wesenhafte Verbundenheit des Priesters mit Christus erfolgt nicht, weil er besser, frömmer, tugendhafter ... wäre als andere, sondern weil Christus ihn zum Repräsentanten seiner selbst macht: mit seiner ganzen Existenz, unwiderruflich. Letztlich ist der Priester nur von dieser Mitte her, vom Christusgeheimnis her verstehen. „Priesterlicher Dienst ist nichts nur Funktionales. Er kann nicht durch eine Funktionsverteilung in der Gemeinde begründet werden, füllt nicht eine Lücke aus zwischen den vielen anderen Diensten und Zeugnissen, die zum Leben einer Gemeinde gehören. Er ist verankert in der Sendung, er kommt kraft seiner sakramentalen Prägung von Jesus Christus her, der Weg der Sendung Christi, der durch die apostolische Sukzession in der Kirche weitergeht, ist der Weg, auf welchem der Priester in jede Gemeinde kommt.“4

Was ontologisch sein unauslöschliches Kennmal ausmacht, muss aber auch im persönlichen Lebensvollzug eingeholt werden. Die Autorität, die dem Priester aufgrund seiner Einwurzelung in Christus zukommt, muss durch persönliches Zeugnis als glaubwürdig und überzeugend erwiesen werden. Dies ist die bleibende Herausforderung, wohl auch Überforderung, der sich der Priester nicht entziehen kann. „Aus sich selber her ist der Priester einer wie die anderen, er erhebt sich nicht über sie als einer, der höher steht und besser ist – aber Jesus Christus hat sich ihm eingeprägt von sich her, er hat ihn genommen und ihn gesandt, damit er ihn nahe bringe, ihn bezeuge, seine Botschaft und sein Leben weitergebe.“5

Dieser Lebensstil ist außerordentlich anspruchsvoll, aber auch faszinierend. Von daher versteht sich, dass das Priestertum nicht einfach abgelegt werden kann wie ein Beruf oder eine befristete Anstellung. „Dieser geistliche Auftrag, für Christus zu stehen und Ihn im Leben und Handeln durchscheinen zu lassen, hat absolute Priorität, damit das priesterliche Tun ein den Herrn darstellendes Tun sein kann und sich nicht in Organisation, äußerem Gottesdienstvollzug und Verwaltung verliert. Es ist die Weise priesterlicher Selbstverwirklichung, auf Christus ausgerichtet zu sein und ihn durchscheinen zu lassen.“6

 

Servitium unitatis - Dienst der Einheit / an der Einheit

„Durch das Priestertum ... ist der Priester sakramental in die Gemeinschaft mit dem Bischof und den anderen Priestern eingebunden, um dem Volk Gottes, das die Kirche ist, zu dienen und alle zu Christus zu hinführen, dem Gebet des Herrn entsprechend: &Mac226;Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir ... Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.’ (Joh 17,11.12).“7

Die Heilsperspektive Christi ist jene der Einheit: aus der Einheit mit dem Vater, für die Einheit mit den Jüngern und deren Einheit untereinander, “damit die Welt glaubt” (Joh 17,20). Jesus selbst sieht sich, ebenfalls in johanneischer Diktion, als den guten Hirten, der die Herde weidet, sie schützt, auch mit der Hingabe des eigenen Lebens, den einzelnen kennt und dem Verlorenen nachgeht (vgl. Joh 10). Dienst an der Einheit in der Nachfolge und sakramentalen Verbundenheit kann daher nicht anders als in der Hirtenliebe Christi geschehen, des pastor bonus, der Hirt und Lamm zugleich ist 8.

So heißt es in der Weiheliturgie: Seid ihr bereit, ...

- ... in der Verkündigung des Evangeliums und in der Darlegung des katholischen Glaubens den Dienst am Wort Gottes treu und gewissenhaft zu erfüllen?

Das Wort des Evangeliums zu hören, zu meditieren und ins Leben umzusetzen ist jedem Christen aufgetragen. Der Anspruch der Radikalität des Evangeliums „stellt sich für die Priester wiederum nicht nur, weil sie ‚in’ der Kirche sind, sondern auch, weil sie der Kirche ‚gegenüber’-stehen, insofern sie Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet, zum geweihten Dienstamt zugelassen und bestellt und von seiner Hirtenliebe beseelt sind.“ (PDV 27). Papst Johannes Paul II erwähnt in diesem Zusammenhang insbesondere die „evangelischen Räte“, unter denen er insbesondere auch das Geschenk des priesterlichen Zölibats hervorhebt, „in dem man sich“, wie das Konzil formuliert, „leichter ungeteilten Herzens Gott allein hingibt ... , Zeichen und Antrieb für die Liebe und ... eine besondere Quelle geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt“(LG 42).

Aber sind die Verkünder der frohen Botschaft auch Hörer des Wortes? Mehr noch: lassen sie sich selbst so sehr vom Wort Gottes durchdringen, dass sie selbst gleichsam ein „fünftes Evangelium“ sein können, an dem die Menschen ablesen, wie Existenz aus dem Glauben geht? Und wie steht es um den Verkündigungsdienst? Geben wir den Menschen wirklich geistliche Nahrung, weil wir uns selbst aus dem Wortes Gottes nähren? Oder ist es abgestandenes Wasser, Konserve, oberflächliche oder eitle Selbstbespiegelung. Ich würde mir wünschen, dass die Erneuerung unserer priesterlichen Berufung bei der zweckfreien Bibelmeditation und dem geistlichen Austausch über unser Leben aus dem Wort ansetzt.

- ... die Mysterien Christi, besonders die Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung, gemäß der kirchlichen Überlieferung zum Lobe Gottes und zum Heil seines Volkes in gläubiger Ehrfurcht zu feiern? Die Krise des Bußsakraments in unseren Ländern ist wohl primär auch eine Krise des Klerus. Wenn wir selbst vom einzigartigen Wert der persönlichen Beichte überzeugt wären, wie sollte das dann nicht auch auf die Gemeinden ausstrahlen?! Im Himmel herrscht Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt und Buße tut. Bei uns auf Erden ist von dieser Freude manchmal wenig zu spüren. Als Priester stehen wir immer wieder der Eucharistie vor. Können wir auch nach mehreren Priesterjahren noch „nachahmen, was wir vollziehen“? Oder hat sich mittlerweile Routine eingeschlichen? Ist unsere Art der Zelebration ein persönlicher geistlicher Vollzug dieses Mysteriums, oder halten wir uns im Formalen, Objektiven, Distanzierten auf? Sind wir uns dessen bewusst, dass die Communio der Kirche gerade in der Eucharistie am intensivsten gewirkt wie auch zum Ausdruck gebracht wird. Deshalb ist dem Priester der Vorsitz in der Feier der Eucharistie vorbehalten: „Derjenige, der den besonderen Auftrag und die sakramentale Sendung empfangen hat, den ‚ekklesialen Leib Christi‘, d.h. die Kirche, als Hirt zu leiten, ist damit auch beauftragt, die Leitung jenes Geschehens zu übernehmen, in dem der eucharistische Leib Christi gefeiert wird und in dem Christus selbst der eigentliche Gastgeber der Feier ist, dargestellt vom Priester, der aufgrund der Priesterweihe ‚in persona Christi‘ handelt.“9 Zum Abschluß der Weihehandlung, bei der Überreichung von Brot und Wein, wird der Priester selbst in das Paschamysterium Jesu Christi hineingezogen: “Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes!“ Eucharistisch leben heißt, sein Leben unter das Kreuz stellen, darin die Einheit mit Christus suchen und finden, der gerade in der Verlassenheit am Kreuz uns alle an sich gezogen hat.

- ... zusammen mit dem Bischof im Gebet, das uns aufgetragen ist, Gottes Erbarmen für die Euch anvertraute Gemeinde zu erflehen?In den Bereitschaftserklärungen zur Diakonenweihe werden die Kandidaten gefragt, ob sie bereit sind, „aus dem Geist der Innerlichkeit zu leben“ und „Männer des Gebetes zu werden“. Das mag eine ernste Gewissensfrage sein, ob und wie die Menschen uns wahrnehmen – „always on the run“, wie der verstorbene Kard. Bernardin es einmal ausgedrückt hat. „Innerlichkeit wurde in den letzten Jahrzehnten weithin als Intimismus und Privatismus verdächtigt. Aber Dienst ohne Innerlichkeit wird zu leerem Aktivismus. ... Zeit für Gott, für das eigene innere Stehen vor ihm, ist eine pastorale Priorität, die allen anderen Prioritäten gleichrangig, ja, ihnen gegenüber in gewisser Hinsicht vorrangig ist.“10 Geistliche Communio als gemeinsamer Lebensraum und gemeinsame Praxis: Es braucht die je neue Einheit mit Gott, so wie Jesus sich immer wieder in die Einsamkeit zurückzog, um die Nähe des Vaters aufzusuchen. Aus der Einheit mit Gott, mit seinen Augen, sollen wir dann auf die Menschen schauen und die uns Anvertrauten leben. Dies muß nicht nur der private Rückzug, dies kann auch mit Gewinn die gemeinschaftliche Einkehr bei Ihm sein: „Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.“ (Mk 6,31) Wo sind bei uns die Orte geistlicher Communio: miteinander bei Jesus sein, mit ihm in der Mitte (vgl. Mt 18,20)?

- ... den Armen und Kranken beizustehen und den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen?“Der Weg der Kirche ist der Mensch“ (Redemptor hominis), und zwar jeder Mensch mit seiner Angst und Trauer, seinen Hoffnungen, seinen Grenzen. Daher muten wir uns auch eine letzte Gewissensfrage zu, die an unsere Glaubwürdigkeit rührt: Wie verhalten wir uns als Priester gegenüber den Schwachen, Benachteiligten, jenen, die „nerven“, die wenig interessant, originell, begabt sind? Jene, die in Ablehnung oder Gleichgültigkeit der Kirche und ihren Repräsentanten gegenüber stehen, die anderen Göttern folgen und die sich in ihrer persönlichen Lebensführung weit vom Geist des Evangeliums entfernt haben? Die „Armut“ hat viele Gesichter, auch hinter glänzenden Fassaden. Aber es steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, wenn wir uns von den Menschen distanzieren. Für alle ist Christus gestorben, wie könnten wir dann eine Auswahl treffen? Die Einheit mit Christus wird uns auch lehren, uns mit dem Nächsten eins zu machen, Augen dafür zu bekommen, wo Christus uns im Bruder und in der Schwester erwartet. Der Weg in der Nachfolge des guten Hirten, der für die Seinen sogar sein Leben gibt, ist nicht immer leicht und angenehm. „Jeder Mensch, der bereit ist, hirtliche Verantwortung in irgendeiner Form zu übernehmen, erfährt unmittelbar, neben dem relativen Erfolg seines Handelns, Ohnmacht und Vergeblichkeit und vor allem das Leiden an der Ambivalenz alles Geschaffenen. ... Niemand kann vor der &Mac226;Majestät des Leidens’ (J.B. Metz) ausweichen, weder vor fremdem Leid noch vor dem eigenen.“11 Aber gerade darin kommt die tiefste Einheit und Verbundenheit mit Christus, nämlich in seinem Leiden, vorzüglich zum Ausdruck. Der Weg zum Mysterium des Lammes führt über die Erniedrigung und den Weg des Leidens: die compassio mit dem guten Hirten, der für die Seinen das Leben hingibt.

Daran erinnern die Weiheversprechen: die liturgische Folie priesterlicher Identität, getreu dem Aufruf des Apostels: „Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteil geworden ist!“ (2 Tim 1,6). So erfragt die Weiheliturgie etwa die Bereitschaft, „den Dienst am Wort Gottes treu und gewissenhaft zu erfüllen“, mahnt die gläubige Feier die Mysterien Christi, besonders die Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung“ ,an, erwartet die Hinwendung zu den Armen und Kranken, den Heimatlosen und Notleidenden, wie auch das fürbittende Gebet für die der priesterlichen Sorge anvertrauten Gläubigen. Die Erinnerung an das eigene Weiheversprechen, Eingangsvoraussetzung für den priesterlichen Dienst, dürfte auch für den in Ehren ergrauten Priester bleibende Gewissenserforschung sein.

Der Weg in der Nachfolge des guten Hirten, der für die Seinen sogar sein Leben gibt, ist nicht immer leicht und angenehm. „Jeder Mensch, der bereit ist, hirtliche Verantwortung in irgendeiner Form zu übernehmen, erfährt unmittelbar, neben dem relativen Erfolg seines Handelns, Ohnmacht und Vergeblichkeit und vor allem das Leiden an der Ambivalenz alles Geschaffenen. ... Niemand kann vor der ‚Majestät des Leidens‘ (J.B. Metz) ausweichen, weder vor fremdem Leid noch vor dem eigenen.“12 Aber gerade darin kommt die tiefste Einheit und Verbundenheit mit Christus, nämlich in seinem Leiden, vorzüglich zum Ausdruck. Der Weg zum Mysterium des Lammes führt über die Erniedrigung und den Weg des Leidens: die compassio mit dem guten Hirten, der für die Seinen das Leben hingibt.

 

Schola vitae unitatis

Um wirklich in den Hirtendienst Christi einzutreten und seine Sendung mitzutragen, bedarf es einer langen und sorgfältigen Vorbereitung und Prüfung. Wer in den Dienst Christi tritt und in seinem Auftrag Diener der Einheit ist, muss mit seiner eigenen Existenz für diese Einheit stehen. Dies setzt für die Auswahl und Ausbildung der Priesterkandidaten hohe Maßstäbe. Die Ratio fundamentalis13 und die entsprechenden nationalen Adaptionen unterstreichen die wesentlichen Dimensionen, die die Priesterausbildung zu berücksichtigen hat:14

- Die menschliche Bildung als Fundament der Priesterbildung

Die Verkündigung des Evangeliums des Lebens erfordert beim Verkündiger der Botschaft ein hohes Maß an menschlicher und sittlicher Reife. „Besonders wichtig ist die Beziehungsfähigkeit zu den anderen Menschen. Sie bildet ein wirklich wesentliches Element für jemanden, der berufen ist, für eine Gemeinde Verantwortung zu tragen und Gemeinschaftsmensch zu sein.“ (Pdv 43) Die Glaubwürdigkeit der Botschaft hängt weithin von der Authentizität und Glaubwürdigkeit des Zeugen ab. Insofern muss der Persönlichkeitsbildung die Priesterausbildung höchst Priorität eingeräumt werden. Dabei soll in kluger Weise die Hilfe psychologischer Diagnostik, Beratung und Begleitung einbezogen werden, insbesondere im Hinblick auf die sexuelle Identität. Dafür hat sich die Deutsche Regentenkonferenz im Frühjahr 2004 unmissverständlich ausgesprochen.

- Die spirituelle Formung: In Gemeinschaft mit Gott und auf der Suche nach Christus

Die priesterliche Berufung ist nur von ihrer Fundierung in Christus zu verstehen und zu leben. Daher muss die Ausbildung darauf ausgerichtet sein, zu einer persönlichen Christusbeziehung zu führen. Die Priesterkandidaten „sollen angeleitet werden, Christus zu suchen: in der gewissenhaften Meditation des Gotteswortes, in der aktiven Teilnahme an den heiligen Geheimnissen der Kirche, vor allem in der Eucharistie und im Stundengebet, im Bischof, der ihnen die Sendung gibt, und in den Menschen, zu denen sie gesandt werden ...“ (OT 8). Doch geht es nicht allein um die formale Befolgung der angezeigten Frömmigkeitspraktiken, sondern um die persönliche Aneignung. Kriterium ist letztlich die Liebe. Was nützt es, wenn ein Priester treu alle Gebete persolviert, aber lieblos, ungeduldig, unbeherrscht, überheblich ... mit seiner nächsten Umgebung – dem Küster, der Sekretärin, dem Organisten ... - umgeht?! Insbesondere wird die persönliche geistliche Begleitung von kompetenten Spiritualen bzw. Beichtvätern gefordert.

- Die wissenschaftliche Ausbildung: Das Mühen um Glaubenseinsicht

Hier braucht es vor jeder Spezialisierung ein solides Grundwissen. In der heutigen, weithin säkularen Welt ist vom Priester gefordert, dass er auskunftsfähig ist und Plausibilitäten des Glaubens aufzeigen kann. Über die persönliche Glaubwürdigkeit hinaus bedarf es dazu auch einer angemessenen Sprache und theologischer Grundkenntnisse.

- Die pastorale Ausbildung: In Kommunikation mit der Liebe Jesu Christi, des Guten Hirten

Wo lernen heutige Seminaristen jenen amor pastoralis? Oft steht die Leidenschaft Gottes für die Menschen, der Wunsch an der Seelsorge, am Anfang und im Zentrum der priesterlichen Berufung. Es ist in den Seminaren darauf zu achten, dass diese Ursprungsintuition nicht mit der Zeit verschüttet wird. Daher braucht es immer wieder längere Phasen des Einsatzes in der pastoralen Praxis, um die eigene Berufung im Kontext der Seelsorge zu prüfen, zunehmend auch selber Verantwortung zu übernehmen und so in der seelsorgerlichen Identität zu reifen. Es empfiehlt sich, die Priesterkandidaten nicht nur punktuell in die Seelsorgepraxis zu entsenden, sondern die pastorale Erfahrung und Verantwortung studienbegleitend zu fördern.

 

Das Seminar - Ort der Jüngerschule

Der Horizont, in dem sich die Ausbildung der angehenden Priester vollziehen muss, ist jener der Einheit, wie sich am „ersten Priesterseminar“, dem Zusammensein Jesu mit seinen Jüngern beobachten lässt: „Die ureigene Identität des Seminars besteht darin, dass es auf seine Weise in der Kirche eine Fortsetzung der engen apostolischen Gemeinschaft rund um Jesus ist, die auf sein Wort hört, die auf dem Weg zur Erfahrung von Ostern ist, in Erwartung des Geistes als Geschenk zur Sendung.“ (PdV 60) Allein diese Kriterien würden m für eine Seminarvisitation ausreichen:

- Sind die Seminargemeinschaften in unserem Land davon geprägt, dass sie sich vom Wort Gottes prägen und leiten lassen? Diese Dimension wäre nicht nur auf das liturgisch verkündigte Wort eingeengt. Lernen heutige Seminaristen, aus dem Wort zu leben, sich darüber auszutauschen, sich gegenseitig zu bestärken im Hören, was der Geist der Kirche sagt (vgl. Offb 4)? Und wie erleben sie in dieser Hinsicht ihre Vorgesetzten, die Seminarverantwortlichen?

- Die Seminarkommunitäten sind – abgelesen am Bild der Jünger von Emmaus - Weggemeinschaften um den auferstandenen Herrn (vgl. Lk 24) – oder sollten es zumindest sein: auf dem Weg zur Erfahrung von Ostern. Da muss Raum sein, die eigenen Sorgen, Fragen, Enttauschungen ... ins Gespräch zu bringen („Wir aber hatten gehofft ...“), nicht nur zwischen Seminarerziehern und Priesterkandidaten, sondern auch unter den Seminaristen selbst: jenen, die auf dem Weg zur Erfahrung von Ostern fortgeschritten sind und jenen, die noch am Anfang stehen. Es braucht den Raum für den geistlichen Austausch, das persönliche Gespräch, wo man ausgehend von den Worten der Schrift den Sinn erschließt und zu verstehen sucht, was der Wille Gottes ist. Wenn die Seminaristen mit ihren Begleitern in diesem Geist unterwegs sind und so bereits - oft unerkannt –die Gegenwart und das Licht des Auferstandenen erfahren, bekommt auch die Feier der Eucharistie selbst einen besonderen Glanz. Dort ist der Ort, wo Christus selbst sich zu erkennen gibt beim Brechen des Brotes und sich auf sakramentale Weise seinen Weggefährten schenkt, Wegzehrung zugleich für die Sendung, den Weg hinaus in die Nacht. Von den Emmausjüngern wissen wir, dass sie unmöglich für sich behalten konnten, was sie auf dem Weg erfahren, wie sie den Auferstandenen erkannt haben und ihr Herz brannte. Die Zielperspektive des Osterweges ist die Communio mit den anderen Weggefährten, sie zu stärken und zu nähren mit der eigenen Glaubenserfahrung. Die Emmausjünger mussten dazu den Weg durch die Nacht gehen, um zu den anderen Jüngern zu gelangen. Jener Sendungsauftrag müsste so auch über der Pforte des Priesterseminars stehen:: „Ite missa est!“ - der Auftrag und die innere Verpflichtung, die Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken und an der eigenen Glaubenserfahrung Anteil zu geben. Die österliche Communio der Jünger lebt von der Communicatio.

- Die Einheit im Glauben, in der gegenseitigen Liebe, im Gebet ist schließlich auch die Voraussetzung, dass sich der Geist auf jeden niederlassen kann: wann und wie der Geist es will. Wie die Jünger im Abendmahlssaal beieinander bleiben, mit Maria in ihrer Mitte, so ist dies auch der Auftrag an alle Seminarkommunitäten: Orte der gegenseitigen Bestärkung und der radikalen Offenheit für das Geschenk des Geistes Gottes zu sein, der die Jünger Christi damals wie heute ermutigt und befähigt, herauszutreten und mit Freimut das Wort Gottes zu verkündigen.

 

... in omnibus autem caritas

Es braucht unter den Priestern, soll das Bild des Priesters wieder erstarken und anziehend werden, die Einheit und den Grundkonsens in den zentralen Fragen priesterlichen Selbstverständnisses. Das gefährdet nicht die je individuelle Ausprägung, das Eigenprofil. Im Gegenteil. Insofern wir uns in den wesentlichen Fragen eins wissen, desto größer ist die Freiheit, der gemeinsamen Berufung eine je eigene Ausprägung zu geben und in je unterschiedliche Bereiche hinein Signale eines attraktiven Lebensentwurfs zu senden. Einheit und Freiheit bedingen sich und bereichern einander. Das Maß aber und das Band zwischen beiden bestimmt die Liebe. Diese erst lässt die Größe und Schönheit der priesterlichen Berufung zu sakramentaler Bruderschaft aufleuchten.

„Wie geblasen, so geritten“: Die auf der Klaviatur priesterlicher Existenz angeschlagenen Töne, so hoffe ich, können die Berufung des Priesters auch für Leute unserer Zeit attraktiv erscheinen lassen. Dann wird es allerdings auch Zeit, dem Konzert Taten folgen zu lassen, den Ritt hinein die Zeit. Priester für das 21. Jahrhundert: einig und einmütig, jeder ausgestattet mit einer großen inneren Freiheit, alle einander zugetan in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung, mit dem auferstandenen Herrn in ihrer Mitte – und wer wollte bestreiten, dass die Zukunft bereits begonnen hat?!

 

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(Footnotes)

 1 Augustinus, De serm. Dom. 272, PL 38,1247.

 2 PdV, 12.

 3 Joseph Cardinal Ratzinger, 8.

 4 Klaus Hemmerle, Der Priester heute, Rom 1982 (Manuskript), 61.

 5 Klaus Hemmerle, Der Priester heute, Rom 1982 (Manuskript), 59.

 6 Schreiben der deutschen Bischöfe über den priesterlichen Dienst, Nr. 49, 15.

 7 PDV, 12.

 8 Vgl. Hermann M. Stenger, Im Zeichen des Hirten und des Lammes, Innsbruck 2000, 289-318.

 9 Schreiben der deutschen Bischöfe über den priesterlichen Dienst, Nr. 49, 21.

10 Joseph Card. Ratzinger, 14.

11 Stenger, 289.

12 Stenger, 289.

13 Die Deutschen Bischöfe, Rahmenordnung für die Priesterbildung, Bonn, 1978; überarbeitete und erweiterete Fassung 2003.

14 Vgl. PdV, 43-59.