Wer unentwegt lehrt, den belehrt das Leben. Zum dialektisch-dialogischen Verhältnis von Kirche und Gesellschaft
Ob in Frankreich, den Niederlanden oder der Mark Brandenburg ... – überall, noch in den kleinsten Dörfern, stößt man auf eine reiche religiöse kulturelle Vergangenheit. Ganze Klosterlandschaften, die heute noch kunsthistorische Anziehungspunkte sind, meist jedoch Museen, Konzertsäle, Eventgastronomie. Viele der Klöster sind verfallen, die Dorfkirchen verschlossen. Das Leben von einst - jene zivilisatorische Lebendigkeit und pulsierende Geistigkeit an diesen Orten – längst Vergangenheit. Die steinernen Zeugen stehen noch, ja sie sprechen auch heute. Wenn man ihnen denn zuhört.
Doch das ist nicht einfach angesichts der Reizüberflutung, der wir Heutigen ausgesetzt sind, wo ein Wort das andere gibt und junge Menschen unter ihren earphones in ihrer eigenen Welt leben. „Laut, viel zu laut ist der Mensch, in allem seinem Schweigen“, dichtete schon Ernst Wiechert. Doch Schweigen ist die Voraussetzung, damit ein Wort vernommen, wahrgenommen, aufgenommen werden kann. Erst recht jenes kreatürliches Schweigen, wie es die Mönche lebten (und leben), um auf dem Grund der eigenen Existenz dem nachzuspüren, was wirklich wesentlich ist. Gestützt auf dieses Schweigen haben sie Ländereien urbar gemacht, antike Philosophen übersetzt, Schulen gegründet, Könige und Kaiser beraten – mit einem Wort: Kultur hervorgebracht.
Den kulturinteressierten Betrachter, insbesondere den kirchenaffinen, mag das steinerne Zeugnis einer großen Vergangenheit mit Wehmut erfüllen und in ihm zugleich die Frage nach dem Heute aufwerfen. Ist die Zeit über Kirche und Klöster hinweggegangen? Haben sie der Welt heute, wie es scheint, nichts mehr zu sagen? Warum erinnert man sich an sie nur noch im Blick auf Worte und Werke der Vergangenheit (und nicht alle waren gut)? All das wirft Fragen auf. Kann es sein, dass wir als Kirche, als Verkünder des Wortes, pausenlos geredet, ja jedes Gespräch dominiert und es damit auch beendet haben? Da wir uns ja im Besitz der Wahrheit wähnten: Waren da Rede und Gegenrede, Widerspruch und Widerworte nicht unangebracht oder galten doch als unschicklich, wenn nicht gar als Ausdruck des Zweifels und Anfang des Unglaubens? Roma locuta, causa finita. Als Kirche haben wir uns nicht gerade den Ruf erworben, zuhören zu können, andere Meinungen gelten zu lassen. Wie auch? Eine Kirche, die kraft göttlicher Vollmacht das Wort verkündet, hat es schwer, sich auf ein Gespräch, den offenen Diskurs einzulassen. Bis man sie nicht mehr hören will und das Leben über sie hinweggeht.
Was ist geschehen? Warum „mag“ man uns nicht mehr, wie mancherorts geklagt wird? Ist es am Ende gar im Heilsplan Gottes vorgesehen, dass wir, nachdem wir über Jahrhunderte ganze Völker belehrt haben, nun selber in die Schule des Hörens, des demütigen Zuhörens geführt werden. Dieselbe Lektion hatte schon das ob seiner Auserwählung nicht minder stolze Volk Gottes des Ersten Bundes mühsam lernen müssen: „Ich lasse in deiner Mitte übrig ein demütiges und armes Volk, das seine Zuflucht sucht beim Namen des Herrn.“ (Zef 3,12) Und wenn diese demütige Selbstbescheidung schon nicht ganz freiwillig erfolgt, so ist sie eben den gesellschaftlichen Veränderungen geschuldet, die uns als Kirche neu herausfordern, Gottes Gegenwart unter den Zeichen der Zeit neu zu entdecken und seinen Namen in diese unsere Welt hinein zu buchstabieren. Wenn immer weniger unserer Zeitgenossen, jedenfalls in der westlich säkularen Welt, der kirchlichen Lehre „aufs Wort“ folgen und sich explizit unter den Segen Gottes stellen, dann muss uns das beunruhigen und uns danach fragen lassen, ob unser gelebter und bezeugter Glaube anschlussfähig ist für die säkularen „Pilger“ unserer Zeit (1). Es wäre allerdings fatal, wenn man aus dem „Fehl Gottes“ die falschen Schlüsse zöge und sich als den „Heiligen Rest“ schmollend zurückzöge. Die Welt ist nicht gottlos, und es ist die Mission der Kirche, als Hermeneuten ihrer Zeit das Wirken und die Wirksamkeit des unsichtbaren Gottes zur Sprache zu bringen. Zwar mag uns bedrücken, dass die Frage nach Gott und den ewigen Wahrheiten vordergründig obsolet oder beliebig geworden ist. Doch sollte es nachdenklich stimmen, dass sich die sog. Säkularismusthese, der zufolge in der postmodernen Gesellschaft der Bedarf an religiöser Orientierung zurückgehe bzw. sich erübrige, als unzutreffend herausgestellt hat. Der postmoderne Mensch ist vielleicht nicht weniger religiös als Generationen vor ihm; allerdings hat er es wesentlich schwerer, unter der Vielstimmigkeit, manchmal auch Kakophonie der ihn umgebenden Reize das herauszufiltern, was seinem Leben Sinn und Orientierung geben kann.
Früher war nicht alles besser, aber es war anders. Denn der rasante wirtschaftlich-technische Fortschritt insbesondere seit der Mitte des letzten Jahrhunderts hat zu gesellschaftlichen Veränderungen geführt und damit auch die Rahmenbedingungen für die Glaubenspraxis wie die Glaubensverkündigung in erheblichem Maß verändert. Makrosoziologen weisen auf die strukturelle und funktionale Differenzierung der Gesellschaft hin, die schon seit Beginn der Neuzeit, aber für jedermann spürbar spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Konsequenzen unser Leben in Westeuropa (nach dem Mauerfall auch in den postkommunistischen Ländern) reicher, aber auch komplexer und damit schwieriger gemacht hat. „An die Stelle einer gemeinsamen, alle Lebensbereiche überwölbenden Weltanschauung treten heute eine Vielzahl spezialisierter, häufig verwissenschaftlichter Sinndeutungen einzelner Lebensbereiche, die für jedermann Orientierungsschwierigkeiten und zunehmende Entscheidungskonflikte mit sich bringen.“ (2) Wurde diese Entwicklung hin zu einer pluralistischen Kultur und einer entsprechend dynamischen Gesellschaft bis zur Mitte des letzten Jahrhundert noch durch eine relativ homogene katholische Kultur aufgefangen, so hat die kulturelle und religiöse Vermischung in der Bevölkerung aufgrund von Flucht und Vertreibung und die gleichzeitig einsetzende ökumenische Annäherung die sozialen Distanzen zwischen Katholiken und Protestanten abgebaut, die bis dahin einen Schutzwall um das katholische Milieu gebildet hatten. Mit der Einführung des Fernsehens in den 60er Jahren hatte sich der religiös und kulturell weithin homogenen Gesellschaft das Fenster zu einer bis dato unbekannten Welt geöffnet, mittels derer man fremder Weltsichten, Lebensformen und -einstellungen ansichtig wurde. Die Beschleunigung der internationalen und dann globalen Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft und die heute praktisch unbegrenzten weltweiten Kommunikations- und Reisemöglichkeiten haben dann völlig neue Rahmenbedingungen geschaffen, in denen der Mensch sich zurechtfinden, sprich seine Identität angesichts wechselnder ausdifferenzierten Rollenidentitäten je neu definieren muss. Angesichts unübersehbarer Wahlmöglichkeiten spricht Ulrich Beck gar vom „kollektiven Zwang zum Subjektivismus“. All dies zusammengenommen hat zu einer Entwertung von Tradition, zur Relativierung fester Bindungen und zur sogenannten Individualisierung der Gesellschaft beigetragen. „Der soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Wandel ist zur alltäglichen Erfahrung geworden, so dass Menschen heute ihr Leben nicht mehr in den alten Ordnungskategorien verstehen und an den bewährten Maßstäben ausrichten können und wollen. Sie erfahren sich mehr und mehr auf sich selbst als letzte Entscheidungsinstanz zurückgeworfen. Toleranz, Selbstverwirklichung, Lernen heißen denn auch die zentralen Parolen in einer sich als pluralistisch verstehenden Kultur und dynamisch gewordenen Gesellschaft.“ (3) Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass der Einzelne, auf sich selbst und sein je neu und weiter zu entwerfendes Selbstkonzept zurückgeworfen, sehr viel schwerer auch zu einer religiösen, in sich konsistenten und stabilen Identität findet.
Wenn es also das in sich geschlossene (katholische) Milieu nicht mehr gibt, das in der Abfolge der Generationen die Glaubensinitiation (mit weitreichenden Konsequenzen für die Weitergabe des Glaubens) und die lebenslange Stabilisierung der Glaubensidentität gewährleistete: muss die Kirche, müssen die Christen demzufolge also vor der gesellschaftlichen Entwicklung kapitulieren? Just in einer Zeit, als in den 60er Jahren im OECD-Raum ein epochaler Stimmungsumschwung erfolgte und sich eine ganze Generation gegen alles Althergebrachte wandte, mit ehrwürdigen Traditionen brach und sich gegen Autoritäten auflehnte – mithin genau jene Stabilisatoren der katholischen Glaubensgemeinschaft -, fand die Kirche den Mut, sich in einer Art Generalversammlung mit den Strömungen der Zeit auseinanderzusetzen und die eigene Lehre und Glaubenspraxis im Horizont der (Post)Moderne neu zu durchdenken.
Es ist dem großen Konzilspapst Paul VI. zu verdanken, dass er als Leitkategorien für die Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils die beiden Leitworte „Dialog“ und „Dienst“ vorgab, die zur evangeliumsgemäßen Neuausrichtung der Kirche in einer pluralistischen und individualisierten Gesellschaft führen sollten, wenn auch unter Geburtswehen und gegen nostalgische Restaurationsphantasien. Nach Jahrhunderten, in denen die Kirche, darin dem göttlichen Auftrag verpflichtet, unentwegt das Heil verkündet und die Völker belehrt hat (als MATER ET MAGISTRA), bekam sie im Hören auf die Zeichen der Zeit gewissermaßen eine zweite Chance: mit der „Entdeckung“ des Dialogs. Schon in seiner programmatischen Antrittsenzyklika ECCLESIAM SUAM (6. August 1964) betonte Papst Paul VI., dass die Kirche – sacramentum mundi - ihrem Wesen nach dialogisch ist, und unterstrich, „wie sehr es einerseits für die Rettung der menschlichen Gesellschaft wichtig ist und wie sehr es andererseits der Kirche am Herzen liegt, dass beide sich kennen lernen und sich lieben.” (ES 5). Das ist das große Thema der Pastoralkonstitution GAUDIUM ET SPES: „Die Kirche in der Welt von heute“ .In ihr macht sich das Konzil das dialogische Kirchenverständnis des Papstes zu eigen, demzufolge „die Kirche [...] kraft ihrer Sendung, die ganze Welt mit der Botschaft zu erleuchten und alle Menschen aller Nationen, Rassen und Kulturen in einem Geist zu vereinigen, zum Zeichen jener Brüderlichkeit [wird], die einen aufrichtigen Dialog ermöglicht und gedeihen lässt“ (GS 92).
Es lässt sich erahnen, was für ein epochaler Kulturwandel sich mit diesem Konzil binnen weniger Jahre Bahn gebrochen hat: von einer oftmals belehrenden (und kontrollierenden) zu einer hörenden Kirche, die sich demütig in den Dialog mit jedem Menschen guten Willens begibt, im Dienst an der Gesellschaft. Dass Papst Paul VI. es dabei keineswegs bei zeitlosen Betrachtungen belässt, sondern dezidiert und konkret auch eine dialogische Haltung einfordert, macht er schon gleich zu Beginn seines Pontifikats deutlich: „Noch bevor man spricht, muss man auf die Stimme, ja sogar auf das Herz des Menschen hören; man muss ihn verstehen und soweit wie möglich achten und, wo er es verdient, ihm auch willfährig sein“ (ES 63). Ein gewagtes Konzept, das auch unter den Konzilsvätern nicht nur auf Zustimmung stieß, das sich aber konsequent an der Maßgabe des Evangeliums orientiert, das man auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen besser und tiefer versteht. So konnte Papst Paul VI. in seiner Schlussansprache auf dem Konzil in eindringlichen Worten zusammenfassen, was das Konzil im letzten beseelt und geeint hat: „Vielleicht noch nie hat die Kirche so sehr das Verlangen verspürt, die sie umgebende Welt kennen zu lernen, sich ihr zu nähern, sie zu verstehen, zu durchdringen, ihr zu dienen, ihr die Botschaft des Evangeliums zu bringen, gleichsam um ihr nachzugehen in ihrer raschen und fortwährenden Wandlung.“ (4)
Kirche im Dialog mit der Welt. Das klingt gut, setzt aber voraus, dass „die Welt“ auch mit der Kirche in einen Dialog eintreten, sie hören will. Leider gibt es auch da so etwas wie „verbrannte Erde“: dass man der Kirche ihre Wandlung nicht abnimmt und sich ihr auch dann nicht wieder zuwendet, wenn diese glaubhaft versichert, sie habe sich vom belehrend „erhobenen Zeigefinger“ zum „hörenden Herzen“ (Papst Benedikt XVI.) (5) bekehrt. Man denke an den verfestigten Laizismus in Frankreich, den militanten Säkularismus in Irland oder die der Kirche gegenüber praktizierte Gleichgültigkeit in den Niederlanden - alle drei einstmals große „katholische“ Nationen. Als Erklärung mag das „Modell für das Verständnis kollektiver Stimmungsumschwünge“ von Albert Hirschmann dienen, der „im Nachvollzug von Enttäuschungserfahrungen den Königsweg zur Erklärung von Stimmungen“ findet: „Kollektiv werden Stimmungen, und zwar Enttäuschungen in Bezug auf eine der wesentlichen Erfahrungsdimensionen des modernen Menschen“ (6). Wenn man an die Enttäuschung breitester Kreise über die als restriktiv empfundene Haltung der Kirche zur Empfängsnisverhütung denkt (HUMANAE VITAE), über die desaströsen Missbrauchsfälle ausgerechnet durch geistliche Autoritätspersonen oder über den verschwenderischen Umgang kirchlicher Würdenträger mit Geld und irdischen Gütern, dann kann man erahnen, dass die Abwendung breiter Kreise von der Kirche und ihren Glaubens- und Morallehre tief sitzt und es Generationen brauchen dürfte, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Nimmt man hinzu, was Paul F. Lazarsfeld den „bandwaggon effect“ nennt: dass man lieber der Kapelle an der Spitze des Umzugs nachläuft (7), will sagen: lieber bei der Gewinnermehrheit ist, als Gefahr läuft, zu der Verliererminderheit zu gehören (Elisabeth Noelle – Neumann erkennt darin „den Grund für das Ausbreiten von Stimmungsdominanzen in der Isolationsangst des Einzelnen“) (8), dann kann man erahnen, dass ein Stimmungsumschwung so schnell nicht zu erwarten ist. Im Gegenteil: wenn jenes Wahlverhalten einer Gesellschaft (die Abwendung von der Kirche) sich über Generationen verfestigt, braucht es gewöhnlich lange, bis sich einzelne aufgrund neuer Angebote, Erfahrungen und Entwicklungen umentscheiden.
Ist die Kirche damit mit ihrem zwar späten (zu späten?), aber ernsthaft und redlich gemeinten Dialogangebot letztlich gescheitert? Ist „die Welt“ sich selbst genug, so dass sie es offensichtlich nicht nötig hat, sich mit der Kirche, ihren Worten und Werten auseinanderzusetzen? Nachdenkliche und weitsichtige Systemtheoretiker weisen zwar darauf hin, dass der Staat und die Gesellschaft von Voraussetzungen leben, die sie selbst nicht geschaffen haben (Böckenförde), aber das muss sich deshalb noch nicht unmittelbar auf die religiöse Neigung und die Legitimation ethischen Verhaltens des „Normalbürgers“ auswirken. Hier kommt vielleicht das zweite Stichwort ins Spiel, das Papst Paul VI. aufgegriffen und als eine Wesensdimension des Christentums der Kirche wiedergeschenkt hat: „Dienst“. Wenn Worte nicht mehr gehört werden: die Sprache der Liebe wird auch heute verstanden. Ein Franziskus und das selbstlose Wirken der Franziskanischen Gemeinschaft durch die Jahrhunderte spricht auch heute. Eine Mutter Teresa und ihre Schwestern, die die Sterbenden aus den Straßen von Kalkutta geholt und ihnen ihre Würde zurückgegeben haben, rühren auch heute. Die stille Präsenz der Kleinen Schwestern und Brüder an den verlassensten Orten dieser Welt, immer „am letzten Platz“, in der Nachfolge von Charles de Foucauld, findet auch heute Resonanz. „Glaubhaft ist nur die Liebe“ (Hans Urs von Balthasar). Die Sprache der dienenden Kirche - gewissermaßen die kleine (vielleicht auch die große) Schwester der lehrenden Kirche -, ist auch heute weithin vernehmbar.
Es waren Menschen wie Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, Adolph Kolping, Pauline von Malinckrodt, um nur einige zu nennen, die sich von der Not der Menschen ihrer Zeit haben anfragen lassen und aus christlicher Verantwortung gehandelt haben. Daraus entstand konkrete Hilfe im Einzelfall, daraus erwuchsen aber auch strukturelle Lösungen und sozialethische Initiativen, die die Wirtschaft und Politik einer Region, eines Landes nachhaltig verändert und zur Humanisierung der Gesellschaft beigetragen haben. Die aus christlichem Engagement entwickelten und praktizierten Prinzipien der Katholische Soziallehre wie Personalität und Gemeinwohlverpflichtung, Solidarität und Subsidiarität, Würde der Arbeit und Wert der Familie ... haben unsere Gesellschaft von innen heraus reformiert und mit dem Geist des Christlichen beseelt, bis hinein ins Grundgesetz oder in die Soziale Marktwirtschaft, auch ohne darauf das „Copyright“ zu erheben.
„Die Welt“, so resümierte wiederum Papst Paul VI., „hört nicht so sehr auf Lehrer als auf Zeugen, und wenn auf Lehrer, dann auf solche, die auch Zeugen sind.“ (EVANGELII NUNTIANDI, 41). Ein solcher Zeuge ist unserer Zeit mit Wilfried Hagemann geschenkt: jemand, der im besten Sinn des Wortes „neugierig“ ist; der marianisch Anteil nehmen will am Geschick der Menschen und die Gabe hat, Wirklichkeit im Licht des Evangeliums zu deuten und zur Sprache zu bringen, unaufdringlich und warmherzig. Es gibt eine Zeit, in der es richtig und nötig ist, das Wort der Wahrheit zu lehren. Aber dem „Wort des Lebens“, so Paul VI., muss das „Zeugnis des Lebens“ vorausgehen, wie auch das verkündigte Wort durch das Lebenszeugnis bekräftigt werden muss. Lehren und Lernen, Verkündigen und Leben: Dialog und Dienst - es ist die Synthese, in der der Glaube der Kirche sprechend wird und seine Attraktivität auch heute und morgen nicht verloren hat.
1Vgl. Danièle Hervieu-Léger, Le pèlerin et le converti. La religion en mouvement, Paris 1999.
2„Dialog statt Dialogverweigerung“: Diskussionsbeitrag der Kommission 8 "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Bad Godesberg 1993.
3 Ebd.
4 Schlussansprache vom 7.12.1965. Der Papst geht darin unmittelbar auf die Bedenken der Kritiker ein und fährt fort: „ ... Und das so sehr, dass einige befürchteten, das Konzil habe ich zum Schaden der Treue, die der Tradition gebührt, allzusehr bestimmen lassen von <einem toleranten und übermäßigem Relativismus gegenüber der äußeren Welt , der ständig fortschreitenden Geschichte, der kulturellen Modeströmung>.“ Doch er hält dagegen, dass in der Kirche „die Idee des Dienstes [...]eine zentrale Stellung eingenommen“ hat und man auf dem Konzil zur Erkenntnis gelangt sei, dass, „um Gott zu kennen, man den Menschen kennen muss“.
5 Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag am 22.09.2011.
6 Zitiert nach: Heinz Bude, Das Gefühl der Welt, München 2016, 67.
7 Ebd., 67, Anm. 70.
8 Ebd., 61.