Zeit für Berufung
In diesem Herbst gibt es im Erzbistum den Schwerpunkt „Zeit für Berufung“. Freut Sie das als Regens des Priesterseminars?
Das freut mich sogar außerordentlich. Ich sehe in dieser Initiative, die unser Kardinal noch kurz vor seinem Tod angestoßen hat, tatsächlich so etwas wie sein Vermächtnis. Die letzte Antwort, die er den DOM-Redakteuren am Tag vor seinem Tod gegeben hat, bezog sich ausdrücklich auf die Sorge um Priesterberufe.
Bedrückt es Sie da nicht, dass es heute nur noch wenige sind, die an die Tore Ihres Priesterseminars anklopfen?
Zunächst einmal sehe ich voller Dankbarkeit auf die, die auf ihrem oft langen Berufungsweg schließlich zur Priesterweihe gelangen. Ihre Biographien gebe eindrucksvoll Auskunft, wie Gott sie geführt hat. Mitunter sind es Lebensentscheidungen, die gegen den Widerstand und das Unverständnis selbst in der eigenen Familie und Pfarrgemeinde getroffen und durchgehalten wurden. Auch zahlenmäßig dürfen wir uns nicht beklagen. Der neue Diakonatskurs zählt 15 Seminaristen; darum würde uns manches Bistum beneiden, auch wenn das kein Grund ist, sich selbstgefällig zurückzulehnen.
Da fällt der Vergleich mit den eigenen Zahlen vor rd. 15 Jahren etwas bescheidener aus.
Für die extrem großen Weihekurse zwischen 1985 und 1995 dürfen wir in der Tat sehr dankbar sein. Seitdem ist der harte Kern jener Jugendlichen, die sonntags im Gemeindegottesdienst vorkommen, sehr geschmolzen. Das sollte uns Sorgen machen. Der Rückgang der Priesterbewerber ist bedenklich. Den Rückgang der christlich geschlossenen Ehen halte ich für dramatisch. Hier zeigt sich noch viel deutlicher der Verlust an Glaubenssubstanz in der jüngeren Generation, aber nicht nur dort. Der Rückgang der Priester- und Ordensberufe ist letztlich nur ein augenfälliges Symptom.
Ist die Initiative „Zeit für Berufung“ daher so etwas wie ein Befreiungsschlag oder letzter Rettungsversuch? Und was unternimmt der Leiter des Priesterseminars gegen diesen Trend?
Die Lage ist zweifelsohne ernst und das Anliegen enorm wichtig,. Als Regens des Priesterseminars bin ich gewissermaßen „Endabnehmer“: Ich darf jene in Empfang nehmen und zur Priesterweihe begleiten, die in der Regel vor fünf Jahren mit dem Theologiestudium begonnen haben und heute nach Jahren der Prüfung und Klärung mit Entschiedenheit Priester werden wollen. Meine Tugend muss also zunächst einmal die des Wartens sein, wenngleich ich eine gewisse Unruhe nicht leugnen kann. Denn natürlich müssen wir uns die Frage stellen, ob alle, die eine Berufung zum Priestertum haben, auch schließlich hier im Seminar ankommen und Priester werden. Allgemein gesprochen: werden die, die sich - in welcher Berufung auch immer - von Gott zu einem Lebensengagement in der Kirche herausgefordert fühlen, hinreichend angesprochen, ermutigt, unterstützt, begleitet? Das stellt Fragen nach unseren Ausbildungs- und Begleitungssystemen, aber noch viel fundamentaler nach das Attraktivität und Vitalität der Kirche selbst. Es darf nicht sein, dass junge Leute sich von Christus angezogen, weniger jedoch zur Kirche hingezogen fühlen. Während die klassischen Orden etwa erhebliche Einbrüche an Berufungen verzeichnen, stoßen die sog. Neuen Geistlichen Bewegungen auf z.T. reges Interesse. Über solche Entwicklungen muß man nachdenken. Möglicherweise liegt hier ein Erneuerungspotential für die gesamte Kirche bereit, das es noch zu entdecken gilt.
Dann geht es aber nicht mehr nur um die Frage nach dem Priesternachwuchs ...
Geistliche Berufungen sind ein Indikator der Lebendigkeit und geistlichen Fruchtbarkeit der Kirche. Insofern ist es wirklich „Zeit für Berufung“. Dazu braucht es aber engagierte Christen, die sich dafür stark machen, dass das Anliegen „Leben für Gott - in der Kirche“ auch explizit in den Gemeinden zum Thema wird. Insofern sind etwa Familien- und Bibelkreise oder die „Exerzitien im Alltag“ sehr hochzuschätzen, weil sie im Kern unserer Gemeinde für ein geistliches Klima sorgen. In dieser Perspektive sehe ich auch den Appell unseres verstorbenen Kardinals in seinem letzten Pfingstbrief, religiös interessierte Jugendliche in sog. vocatioanl groups - „Berufungsgruppen“ - zusammenzubringen: zu einer Jugendvesper, einem Schriftgespräch, einem geistlichen Impuls ... In diesem Rahmen könnte dann auch jemand seine Berufungsgeschichte erzählen. Und wenn es am Anfang auch nur zwei oder drei sind, die sich trauen, in der Öffentlichkeit ihr Interesse an diesen Fragen zu bekunden. Nur so wird auch wieder ein öffentliches Bewußtsein für dieses Anliegen wachsen.
Sehen Sie darin eine Möglichkeit, zu mehr Priesterberufungen zu kommen?
Ich verstehe Berufung zunächst in einem weiteren Sinn als die Bereitschaft, sich unter den An-spruch Gottes zu stellen und von ihm her die eigenen Lebensmöglichkeiten zu bedenken. Das erfordert eine geistliche Sensibilität und die Gabe der Unterscheidung, wozu es der Begleitung geistlich erfahrener Menschen bedarf, wie die Berufungsgeschichte des jungen Samuel (1 Sam 3) zeigt: Samuel hört den Ruf Gottes, weiß ihn aber ohne die Hilfe Elis, des Priesters, nicht zu deuten. Solche Samuels gibt es auch heute: Menschen mit einer Berufung von Gott. Aber es braucht die geistliche Deutekompetenz der Elis unserer Tage: derer, die sich nahe am Heiligtum aufhalten, deren Berufung und Auftrag es gerade ist, das Wirken des Geistes im anderen zu erkennen und dazu zu ermutigen, sich im Geist der Bereitschaft in die Gegenwart Gottes zu stellen: „Rede, Herr, dein Diener hört!“ Eine Kirche, die in dieser Weise geistlich lebt, ist auch geistlich fruchtbar und wird Berufungen aller Art herausbringen, auch Priesterberufungen in hinreichender Zahl.
Ist Berufung eigentlich nur etwas für junge Leute?
Gott ruft zu jeder Zeit, auch zu jeder Lebenszeit. Es mag sein, dass junge Leute eher die Frage nach dem großen Lebensentwurf, den eigenen Lebensmöglichkeiten stellen. Zunächst gibt es die Grundberufung zu einem christlichen Leben und Zeugnis in der Welt. Ich kenne jedoch Männer und Frauen in jedem Alter und Stand, die darüber hinaus sehr ernsthaft danach fragen, was Gott mit ihnen vorhat und wie sie auf seinen Anruf reagieren können. Ich bin überzeugt, dass es im Gottesvolk durchaus ein großes „Potential“ von Menschen gibt, die ihr Leben in den Dienst Gottes schenken wollen, in welcher Funktion auch immer. Warum gibt es eigentlich pro Gemeinde nicht mehr als ein / zwei Berufungen zum Ständigen Diakonat? Könnte es nicht sein, dass der Geist Gottes auch mehreren eine solche Berufung schenkt? In diesem Jahr haben vier junge Frauen die Jungfrauenweihe abgelegt. Könnte es nicht sein, dass es durchaus noch mehrere gibt, die sich Gott in dieser Berufung weihen wollen? In den Drittorden und Neuen Geistlichen Gemeinschaften haben auch verheiratete Männer und Frauen die Möglichkeit, sich öffentlich und verbindlich an Gott zu binden ... Es wird Zeit, dass wir als Kirche unsere Berufungsvergessenheit überwinden und nicht mehr über die Funktionen der verschiedenen kirchlichen Dienste streiten, sondern den Aspekt der Hingabe an Gott herausstellen. Wer sich an Gott verschenkt, ist letztlich frei, das zu tun, was seinen Begabungen und den Erfordernissen der Kirche entspricht. Dann wird es auch in unseren Landen wieder ein wohlwollendes Klima für geistliche Berufe geben, in dem auch junge Männer ermutigt werden, sich ihrer Berufung zum Priestertum zu stellen und, vom Gottesvolk getragen, ihren geistlichen Berufungsweg überzeugend und glaubwürdig gehen.