Wahre Größe
„Rom wuchs und wurde reich – und dann lief etwas schief.“ Der Satz hat sich mir eingeprägt, entdeckt auf einer Wanderausstellung, die an den Untergang des Römischen Reiches erinnerte: „Luxus und Dekadenz“. Die damalige Elite der Grundbesitzer, Staatsbeamten und Militärs lebte im Überfluss; knapp ein Prozent der rd. 50 bis 80 Millionen Menschen, die um Christi Geburt im Römischen Reich lebten, teilte den Reichtum unter sich auf. Die im Überfluss lebende Elite neigte in ihrem Größenwahn offenbar zu Exzessen, die ihre Urteilsfähigkeit nachhaltig trübten. Das Ende ist bekannt.
Mich beschleichen solche Gedanken, wenn ich auf die politische Entwicklung nach der Machtübernahme in den USA schaue. Da befremden mich nicht nur die Allmachtsphantasien des (vielleicht) mächtigsten Mannes der Welt: etwas zu machen, einfach weil man es kann; sich etwas zu nehmen, weil einem keiner in den Arm fällt. Und es ist auch nicht allein die GREAT AGAIN-Hybris, die nicht nur Amerika, sondern vor allem ihm selbst gilt. Mich erschüttert vor allem der offenkundige Niedergang an zivilisatorischen Werten, die jene große Nation einst groß gemacht haben. Nicht nur zu reden von der Hochkultur in der Kunst, den renommierten Forschungseinrichtungen, den amerikanischen Tugenden wir Toleranz und Demut, an die Präsident Biden noch zu seiner Amtseinführung (20.1.2021) appelliert hatte: jene Bereitschaft der Amerikaner, „in den Schuhen des anderen zu stehen“, und für „Chancen, Sicherheit, Freiheit, Würde, Respekt, Ehre und, ja, die Wahrheit“ einzustehen - Grundwerte wie Selbstbestimmung und Gleichheit, die schon in der Unabhängigkeitserklärung festgeschrieben waren: „das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück". Doch mittlerweile steht an der Spitze der „großen Nation“ ein Präsident, der das Bildungsministerium abschaffen und die Bundesmittel für Schulen kürzen will, ein selbsternannter „Dealmaker“, dessen vulgäre Sprache, beleidigende Aussagen und offenkundige Lügen ein Niveau erreichen, das jeden Anstand vermissen lässt. Auch hier kommt einem das Wort von der „spätrömischen Dekadenz“ in den Sinn.
Während das Römische Reich zuletzt an sich selber zugrunde ging, leuchtete der Stern des Christentums immer heller. Was jeden Menschen in den Augen Gottes groß macht, ist seine Würde, auch die des Armen, Leidenden, Scheiternden, Behinderten, Kranken, Sterbenden. Wahre Größe erwächst aus dem Bewusstsein, von Gott geliebt zu sein – und diese Liebe weiterzugeben. Aber von dieser Erkenntnis sind manche Potentaten (wieder) weit entfernt.