3. planet of visions
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer. Bevor die EXPO Ende Oktober Ihre Pforten schloß, war ich mit einer Gruppe von Seminaristen noch einmal auf dem Gelände. Das Bild, das sich mir dort eingeprägt hatte, war der schlichte Text auf einer der großen Anzeigetafeln: „Planet of Visions: 4 Stunden Wartezeit“. Gedränge vor dem Pavillon, der Visionen und Einsichten verheißt: Prägnanter kann eine Zeitansage kaum ausfallen. Mich hat diese Anzeige sehr nachdenklich gemacht. Denn während wir im Zeitalter der Beschleunigung leben, in der alles zu jeder Zeit machbar und verfügbar sein muß, warten zig-tausend Menschen Tag für Tag geduldig, bis sie eintreten dürfen in jene Halle, von der sie sich glaubwürdige und tragfähige Perspektiven erwarten.
Die Warteschlange vor diesem säkularen EXPO-Tempel erinnert mich an eine Zeitdiagnose aus ganz anderen Tagen : „In jenen Tagen waren Worte des Herrn selten; Visionen waren nicht häufig. Aber die Lampe des Herrn war noch nicht erloschen.“ (1 Sam 3,1): Es ist die Zeit des Propheten Samuel - der unseren nicht unähnlich.
Ich erkenne hinter dieser nüchternen Zeitanalyse die bedrückende Erfahrung, die auch uns Heutigen manchmal zu schaffen macht: daß man nicht sieht, wo es lang geht, wie es weiter geht. Es gibt solche Zeiten, wo man Orientierung und Halt braucht und doch auf sich selbst zurückgeworfen ist. Wo man Ausschau hält nach einem rettenden Wort, einer heilsamen Perspektive - und doch im Nebel stochert. Es gibt sie zwar, die Worte Gottes, aber man findet keinen inneren Zugang, sie sagen einem nichts für die eigene Situation. Die Worte des Herrn sind zwar da, aber sie drängen sich nicht auf; sie warten, daß man sie entdeckt, sie an sich heranläßt.
In einer seiner letzten Predigten prägte der Aachener Bischof Hemmerle, selbst schon von Todesnähe gezeichnet, das Wort: „Die Nacht wird immer dichter. Der Herr kommt immer näher“ In einer Zeit, in der Visionen Mangelware sind - damals wie heute - , legt das Samuelbuch nahe, sich näher am Heiligtum aufzuhalten, hineinzuhören in das Dunkel der Nacht. In eine solche Nacht schickt Gott seinen Propheten. Er schickt ihn hinein in das Dunkel seiner Zeit, von der es doch auch heißt, daß die Lampe Gottes noch nicht erloschen war. Samuel hält sich dort auf, wo die Lade Gottes ist, Symbol für seine Gegenwart. Und dort, mitten im Dunkel, in der Unbestimmtheit der Zeit, erreicht ihn das Wort des Herrn. Gott ruft ihn beim Namen; aber es braucht mehrere Anläufe, bis Samuel versteht, was er hört. Bis er hinter den Worten den Rufenden erkennt: daß Gott es ist, der ihn ruft, und daß er wirklich ihn meint. Die Geschichte von der Berufung des jungen Samuel endet schließlich damit, daß der Prophet sich vor Gott aufrichtet und in das Dunkel hinein antwortet: „Rede Herr, dein Diener hört“ - eine Einladung, es ihm gleich zu tun, und von Gott her Perspektive und Orientierung und Auftrag zu empfangen.
Verehrte Hörerinnen und Hörer, vielleicht finden wir uns wieder in der langen Reihe derer, die mit einer Hoffnung unterwegs sind, voller Erwartung auf ein erhellendes Wort und in der Hoffnung, daß sich ein Weg auftut. Auf der EXPO stand man schließlich nach langem geduldigen Anstehen unvermutet an der Pforte zum Paradies. Es ist die Vision, die Gott für uns alle bereit hält: in Erinnerung an das Paradies unterwegs zu sein zu dem Himmel, den er uns schenken will. Ich wünsche Ihnen, daß sich diese Vision als tragfähig und lebenswert erweist: eine Perspektive, die alles Warten und Unterwegssein lohnt.
2. Rachel weint um ihre Kinder
Verehrte Hörerinnen und Hörer, ein Bild geht mir nicht aus dem Kopf: das Bild eines kleinen Jungen, auf der Suche nach Deckung ängstlich an eine Wand gekauert, im Schutz des Vaters, Sekunden, bevor ihn die tödliche Kugel trifft inmitten der haßerfüllten Auseinandersetzungen im Nahen Osten.
Tagelang wird diese Szene im palästinensischen Fernsehen wiederholt, immer wieder, jede halbe Stunde, zur besten Fernsehzeit: ungewollt ein erschütterndes Dokument, daß selbst Vater und Mutter nicht Schutz bieten können in einer bedrohlichen, feindseligen Welt. Und Nacht für Nacht weinen die Kinder im Schlaf, die am nächsten Tag mit Steinen auf Israelis zielen.
Tage später wird die Welt fassungslos Zeuge der blindwütigen Lynchmorde an zwei wehrlosen Soldaten. Wer kann die Meute zurückhalten, die wutentbrannt nur noch den Haß und das Töten kennt, die Rache schreit und nach Martyrium dürstet? Wann wird endlich Friede einziehen, jener „Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“, ausgerufen in eben jenem Landstrich vor 2000 Jahren?
Es ist müßig, einseitige Schuldzuweisungen zu machen. Das Sündenbekenntnis der einen wie der anderen Seite ist identisch: Ich provozierte, und ich ließ mich provozieren, und jede Reaktion treibt die Spirale der Gewalt und des Hasses voran. Und immer sind Wehrlose die Opfer, wie jener kleine Junge im Kugelhagel.
„Rachel weint um ihre Kinder, denn sie sind nicht mehr“. In unseren Kirchen erinnert man heute an den Kindermord zu Betlehem, weil Herodes, der damals amtierende Herrscher, sich von einem neugeborenen Kind so bedroht fühlte, daß er gleich alle Kleinkinder in jener Gegend töten ließ. Wir beten für all die Kinder, die auch heute noch Opfer der Gewalt werden, nicht nur im Nahen Osten, auch bei uns,wo Kinder physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind, mißhandelt oder mißbraucht werden. Und wir trauern um alle, die nicht die Chance hatten, geboren zu werden und ihre Eltern zu sehen.
Was ist der Mensch? Je länger mir der kleine palästinensische Junge vor Augen steht, desto deutlicher sehe ich das Kind in der Krippe vor mir: damals, vor 2000 Jahren, wehrlos und schutzlos, ganz angewiesen auf das Wohlwollen und die Zuneigung der Eltern. Das ist der Mensch: so wie Gott ihn sieht. Gott selbst nimmt die Züge eines Menschen an. Sollte es uns nicht möglich sein, in jedem Kind, in jedem Menschen die Züge Gottes zu erkennen? Noch die mürrische Alte und der Griesgram von Nebenan bleiben nicht unberührt, wenn sie in das Gesicht so eines Kleinen schauen. Gott ist Kind geworden, so die Botschaft von Weihnachten. Ein Kind, damit niemand vor ihm Angst haben, sich demütigen, sich genieren müßte.
Kindermord in Betlehem - damals wir heute. Es ist die erschütternde Seite jenes Festes, das so verheißungsvoll und friedlich begann: der Friede auf Erden: er bleibt gefährdet, auch nach 2000 Jahren. Krippe und Kreuz zeigen den Preis, den Gott zu zahlen bereit ist. Denn Gott läßt sich nicht abbringen vom Plan seiner Liebe, die allen gilt, auch durch Widerstände und Rückschläge hindurch. Das Wort vom Anfang gilt, unverrückbar, auch uns: Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade.
1. Der greise Papst und die geöffnete Tür
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer
Ein faszinierendes Bild ging um die Welt: Weihnachten 1999, vor genau einem Jahr: ein alter Mann, verfolgt von Kameras und Millionen Zuschauern, einsam zusammengesunken in einer großen, geöffneten Tür.
Der greise Papst, vorn über gebeugt in einem übergroßen Chormantel, im Gebet versunken bei der Eröffnung des Heiligen Jahres: Von Anfang an war es das Programm dieses Papstes, „Christus, dem Erlöser, die Türen zu öffnen“.
Das Bild hat Symbolwert: Es bringt die Hinfälligkeit und Gebrechlichkeit dieses Menschen zum Ausdruck, seine Zerbrechlichkeit angesichts der übergroßen Aufgabe, den Menschen die Tür zum christlichen Glauben aufzustoßen.
Zum Glück hat Gott selbst die Tore weit aufgemacht, die Tore seiner Güte; darin finden wir Menschen Vergebung, Trost, Zuversicht, Perspektive. Gott hat es sich nicht nehmen lassen, aus der Höhe und Erhabenheit des Himmels herabzusteigen und in Jesus den Weg zu uns zu suchen. Der Tür zum Himmel, zum Vater, steht offen.
Eben dieser Jesus hat einmal in einem Bild von sich gesagt, er selbst sei die Tür, durch die man zu Gott gelangen kann. Könnte es nicht ein Versuch wert sein, sich neu mit diesem Jesus auseinanderzusetzen? Da wäre zum Beispiel die Möglichkeit, sich mit der Bibel zu beschäftigen und nachzulesen, was dieser Jesus gesagt und getan hat, wie er gelebt hat, wie gestorben ist. Man könnte auch in eine der geöffneten Kirchen eintreten; dort sind in diesen Tagen Weihnachtskrippen aufgebaut und laden zum Verweilen ein. Vielleicht läßt sich dort auch ein kleines Licht anzünden, als Zeichen für unseren guten Willen und den oft so schwachen Glauben. Und warum versuchen wir nicht, wieder ein persönliches Gespräch mit Gott anzufangen, wenn auch holperig, vielleicht nach Jahren ...
Verehrte Hörerinnen und Hörer, die Türen sind offen, das ist die Botschaft von Weihnachten. Wer so versucht, sich auf diesen Jesus einzulassen, ihm nachzugehen, wird möglicherweise spüren, daß sich plötzlich Türen öffnen, wie das eigene Leben Farbe bekommt, daß all das Leiden und Mühen einen Sinn hat und in der eigenen Geschichte ein roter Faden erkennbar wird. Die erste Frucht wird sein, daß wir in uns selbst den Frieden finden, einen Frieden, den man sich mit Geld nicht kaufen kann.
Der greise Papst in der geöffneten Tür: Ich erkenne in diesem Bild eine Kirche, in der ein ganzes Jahr lang „Tag der offenen Tür“ ist. Viele Pilger sind in diesem Jubiläumsjahr nach Rom gekommen, zwei Millionen Jugendliche allein zum Weltjugendtag; sie haben die Heilige Pforte durchschritten und mit diesem symbolischen Akt ihren Glauben erneuert.
Verehrte Hörerinnen und Hörer. Die Heilige Pforte in Rom wird in wenigen Tagen, am Fest der Heiligen Drei Könige, wieder geschlossen. Doch die Türen zu Gott, zum Leben des Himmels, bleiben offen, auch über die Jahreswende hinaus; vielleicht brauchen wir noch etwas Zeit, um an der Schwelle stehenzubleiben, aber irgendwann sollten wir uns einen Ruck geben und eintreten, am besten bald.
„Wozu brauchen wir Priester?“
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer, mein Name ist Peter Klasvogt. Ich lebe in Paderborn und bin dort als Regens des Priesterseminars in der die Ausbildung katholischer Priester tätig.
Im letzten Jahr machte eine Anzeigenkampagne auf sich aufmerksam, die sich einem ungewöhnlichen Thema und einer ausgefallenen Berufsgruppe widmete. Ein Plakat zeigte einen netten jungen Mann im bunten T-Shirt, mit blond gefärbten Haaren und einem Fußball in der Hand. Darunter der Anzeigentext: „Wir brauchen keine frommen Jung‘s. Wir brauchen Priester!“
Die Reaktionen waren höchst unterschiedlich. Es gab viel Zustimmung: Endlich ein Priesterbild, das den Priester aus der Enge der Sakristei herausführt und ihn mitten ins Leben stellt! Doch machte sich auch lautstarker Widerstand breit: Was wir in der gegenwärtigen Kirchenkrise brauchen, sind gerade fromme Priester!
Und inmitten der engagiert geführten Diskussion um das wahre und zeitgemäße Priesterbild finden sich jene, die heute Priester werden: ein jeder mit seinen Idealen und Träumen, aber auch den eigenen Grenzen und Befürchtungen. Die Frage, die ihnen immer wieder gestellt wird, und der sie sich selbst auch nicht entziehen können: „Wozu brauchen wir überhaupt Priester? Warum macht ihr das? Was ist Euch daran so wichtig?“
Ich bin jedes mal erstaunt und überrascht, mit welchem Ernst und welcher Entschiedenheit, aber auch Begeisterung und innerer Zufriedenheit heute jemand Priester werden will. Oft ist es das Ergebnis eines langen Lebensweges, mit Abbrüchen, Umwegen, sehr persönlichen Lebenserfahrungen. Einer hat seine Motivation und Überzeugung in dem lapidaren Satz zum Ausdruck gebracht: „Ich liebe Gott, und ich möchte, daß auch andere ihn kennenlernen.“ Für diese Überzeugung ist er bereit, alles hint‘ an zu stellen, was ihm vorher wichtig war: ein akzeptierter Beruf, Geld, Karriere, Freundin, Familie ...
- Musik -
Vor wenigen Tagen haben wir in Paderborn mit einem neuen Vorbereitungskurs auf die Priesterweihe begonnen. Es sind diesmal dreizehn, die nach abgeschlossenem Theologiestudium mit Freude, aber auch in großer Erwartung auf den Tag ihrer Priesterweihe schauen: wenn sie in der überfüllten Domkirche vor den Bischof treten und ihre Bereitschaft erklären, sich Gott in der Kirche mit ihrer ganzen Existenz zur Verfügung zu stellen, mit Haut und Haaren. Und zwar für immer. Lebenslänglich.
Da wird kein Anstellungsvertrag unterschrieben, kein Beschäftigungsverhältnis mit begrenzter Laufzeit und gegenseitigen Kündigungsfristen vereinbart. Jeder Kandidat legt sich flach auf den Boden zum Zeichen seiner eigenen Ohnmacht. Und der Bischof legt ihm schweigend die Hände auf und betet über ihn. So wird seine Lebensentscheidung besiegelt und er als Priester in Dienst genommen.
Einer von denen, die in diesem Jahr zum Priester geweiht worden sind, ist Lars Hofnagel, 30 Jahre alt. Seit drei Monaten lebt er als Vikar in einer Gemeinde in Bielefeld. Haben sich seine Erwartungen und Vorstellungen erfüllt? Was beschäftigt ihn? Wie wird er in der Gemeinde in Anspruch genommen?
In der Gemeinde, wo ich jetzt seit Mitte Juli bin, war in den letzten Jahren kein Vikar, sondern nur der Pfarrer, und mir kommt jetzt von den Menschen eine große Freude und Sympathiewelle entgegen, die einfach sagen: “Schön, daß sie einfach da sind, daß sie hier jetzt mit uns leben wollen.” Ich merke ganz stark, daß ich beansprucht werde von den Menschen. Sie fordern mich auf, einfach dabei zu sein in ihrem täglichen Leben, als Gemeinde in diesen unterschiedlichsten Bereichen, in denen sie aktiv sind. Da ist eine Jugendleiterrunde zum Beispiel, die sich darüber freut, daß ich mich abends mit ihnen zusammensetze, wir Ideen spinnen und Sachen für Jugendliche vorbereiten und schauen, wie kann es weitergehen mit unserer Jugendarbeit in der Gemeinde. In vielen Bereichen bin ich auch für die Menschen eine Stütze oder Impulsgeber für ihr eigenes Glaubensleben. Da sind zum Beispiel die Leute, die die Jugendlichen auf die Firmung vorbereiten, die sagen, wir brauchen noch etwas für unseren eigenen Glauben, wir wollen nicht auslaugen dabei, was wir mit den Jugendlichen machen, wir wollen auch dabei weiterkommen. Und so werden wir uns mit diesen Menschen treffen mit den Erwachsenen. Dann setzen wir am Anfang immer einen geistlichen Impuls, wo ich versuche, an deren Glaubensleben anzuknüpfen und ihnen etwas Neues zu erschließen, sie auf einen neuen Gedanken zu bringen, der sie weiterbringt. Ich gehe regelmäßig ins Altenpflegeheim, wo wir einmal im Monat einen Gottesdienst feiern mit Kommunionfeier. Da kommen zunächst einmal die Menschen zusammen, die noch gehen können. Mit denen feiere ich dann in einem kleinen Kreis einen Gottesdienst, aber danach gehe ich in die Zimmer zu den Bettlägerigen, und ich nehme mir auch Zeit mit ihnen zu sprechen, mich mit ihnen zu unterhalten, ihnen dann die Kommunion zu reichen, sei es aber einfach nur einmal, daß ich da bin und ein ihnen bekanntes Gebet mit ihnen spreche. Und ich merke, daß derjenige seine Lippen anfängt zu bewegen und mitbetet. Regelmäßig habe ich natürlich auch Gespräche mit Trauernden, und ich merke einfach, daß es den Menschen gut tut, daß sie jemandem erzählen können von diesen letzten Minuten und Momenten, die sie mit dem Verstorbenen verbracht haben. Es sind Gespräche, wo ich nicht einfach da bin, um Worte des Trostes zu sagen: einfach da sein, zuhören - und es sind Momente, wo Stille ist und die Trauernden in meiner Gegenwart weinen und ihre Trauer einfach ´rauslassen. Ich feiere mit der Gemeinde täglich Gottesdienst, und es tut gut, dann auch zu hören von einer Dame z. B., die dann zu mir kommt und sagt: “Mensch, wie sie mit uns die Gottesdienste feiern, was sie uns so sagen, das gibt mir das Gefühl wirklich zu Hause zu sein.“ Und das stellt mich natürlich innerlich sehr zufrieden und diese Beanspruchung in der Gemeinde, so anstrengend sie auch oft sein mag, erfüllt mich einfach. Und ich habe das Gefühl, ich bin da, lebe in der Gemeinde. Bis dahin war es natürlich ein langer Weg. Ich habe mich sehr intensiv vorher in Zeiten des Studiums mit dieser Entscheidung Priester zu werden auseinandergesetzt. Da war ganz wichtig im Wesen für mich einen Gebetsweg entdeckt zu haben, eine tiefe Verbindung zu Jesus Christus aufzubauen und mich wirklich zu fragen, ist es das, was Gott von mir will? Will er mich hier in dieser Kirche haben? Und ich vertraue darauf, daß er mich, so wie ich bin und mich mit meinen Fähigkeiten in dieser Kirche stellen möchte als Priester und ich mich so auch einbringe und die Kirche mitgestalte.
- Musik -
Natürlich höre ich oft die Frage nach dem Zölibat oder der Priesterweihe der Frau; und all das sind ja auch Fragen von Gewicht und Bedeutung. Und ich hoffe, daß sich viele darum sorgen, daß es auch heute und morgen noch Priester gibt. In einer Welt, in der es vor allem um Leistung, Effizienz und Optimierung geht, mutet es sonderbar, ja archaisch an, wenn einer vor allem dafür lebt, daß das Menschsein nicht auf der Strecke bleibt und die Erinnerung an den Himmel wachgehalten wird.
Auf der Jagd nach dem Kick, der flüchtigen Lust des Augenblicks ist es schwer, auf das Wesentliche zu kommen. Aber die Frage läßt sich nicht verdrängen. Und spätestens, wenn ein Verlust, eine Niederlage, vielleicht auch Krankheit und Tod am Rande der Spaßbühne auftauchen, stellt sich mit um so größerer Heftigkeit die Frage: Wozu das alles? Was bleibt letztlich? Und was gilt wirklich? Wenn es um‘s Ganze geht; wenn alles auf dem Spiel steht; wenn alles zu Ende geht - da wird vielleicht am deutlichsten, wozu es den Priester braucht: daß er Gott zur Sprache bringt, daß er Worte des Trostes hat, die nicht leer und kraftlos sind, nicht leicht dahin gesagt und morgen schon vergessen, daß er uns hilft, mit unserer Sehnsucht an den Himmel zu rühren.
Ich bin mir sicher: die Menschen erwarten keinen perfekten Priester. Aber sie hoffen, daß er zuhören und sie ganz verstehen kann, daß er Anteil nimmt und verantwortungsbewußt handelt.
- Musik -
Wozu brauchen wir Priester? Man könnte auch umgekehrt fragen: Wozu braucht Gott Priester? Als Jugendlicher fand ich mich einmal unversehens in der Ludgeri-Kirche in Münster. Dort gibt es eine Christusfigur, der im Krieg beide Arme abgeschlagen sind. An dem Querbalken des großen Holzkreuzes ist zu lesen: „Ich habe keine anderen Hände als die Euren“. Dazu braucht es Priester: Menschen, die nicht etwa aus sich etwas Besonderes sind, die Jesus aber ihren Mund und ihre Hände leihen: damit er auch heute, wie damals vor 2000 Jahren, bei den Menschen ankommen kann. Sie wollen mithelfen, daß auch andere Gott kennenlernen, zu ihm finden, mit ihm sprechen; im Namen Gottes dürfen sie sogar Vergebung zusagen.
Weil der Priester aus den Menschen genommen ist, steht er nicht über ihnen. Er ist genauso endlich, er braucht wie alle anderen Vergebung und Heilung, auch hat er nichts anderes als Glaube, Hoffnung und Liebe. Was er als Priester ist, ist er alles durch Christus.
Verehrte Hörerinnen und Hörer: es braucht auch heute Menschen, die sich mit ganzer Hingabe in den Dienst Gottes und der anderen stellen - einfach, weil sie uns daran erinnern, daß es sich lohnt, für Gott zu leben. Mag sein, daß sie zuweilen als unbedarft oder weltfremd belächelt werden. Aber an ihrem Lebenszeugnis kommt niemand vorbei.
- Musik -
Das war das Geistliche Wort, heute aus der katholischen Kirche. Es verabschiedet sich von Ihnen Peter Klasvogt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen und erholsamen Sonntag.
6. Wer durstig ist, den werde ich umsonst trinken lassen aus der Quelle des Leben
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer,
„Wer durstig ist, den werde ich umsonst trinken lassen aus der Quelle des Lebens.“ Dies ist das Motto des letzten Tages der Ökumenischen Bibelwoche, Wie ich finde, ein wunderschönes Bild: Christen aller Kirchen, gemeinsam an der Quelle, Sie alle sind getrieben vom Durst nach Wahrheit und Leben, und alle haben gefunden. Dort, an der Quelle, schöpfen sie alle aus dem Vollen, und wird man nicht mehr wissen, wer den längeren oder kürzeren Weg zurückzulegen hatte, wer mehr oder weniger von dem Wasser in seinen Vorratsbeutel hatte.
Alle Christen, gemeinsam an der Quelle des Lebens. Das setzt allerdings voraus, daß man nach dieser Quelle sucht, daß man sich nicht mit abgestandenen Wasser zufrieden gibt, und sei es noch so gut konserviert. Es würde bedeuten, vor sich selbst und vor einander zuzugeben, daß wir noch unterwegs sind, Dürstende, voller Sehnsucht nach dem, der allein unseren Durst stillen kann.
„Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott“ so heißt es in einem Psalmengebet. Gemeinschaft im Glauben werden wir nur finden, wenn wir einander unsere Bedürftigkeit, unseren „Lebensdurst“ im umfassenden Sinn des Wortes eingestehen, ohne Überheblichkeit und Arroganz, mit der inneren Bereitschaft, sich auf dem Weg zur gemeinsamen Quelle von Gott führen, vom Heiligen Geist überraschen zu lassen.
„Wer durstig ist, den werde ich umsonst trinken lassen aus der Quelle des Lebens.“ Ich erinnere mich noch gut an eine Wanderung, zum Abschluß meines Studiums im Heiligen Land von Nazareth hinauf nach Jerusalem. Ich wußte, daß ich bei dem heißen Klima viel Wasser mitnehmen mußte, aber mir kam erst im Laufe der Wanderung zu Bewußtsein, wie sehr ich auf wohl gesonnene Menschen angewiesen war, die mir unterwegs immer wieder die Wasserflaschen füllten.
Dieser Weg führte mich auch nach Nablus, vorbei an dem berühmten Jakobsbrunnen, den schon Johannes in seinem Evangelium erwähnt. Heute ist an dieser Stelle eine kleine orthodoxe Kirche, und ein freundlicher Mönch schöpfte für mich Wasser aus dem alten Brunnen. Ich mußte dabei an jene Begegnung zwischen Jesus und der samaritischen Frau denken, an eben diesem Brunnen. Eine unerhörte Szene: Jesus ist sich nicht zu schade, sie - eine fremde, andersgläubige Frau - um einen Gefallen zu bitten. Er, der doch lebendiges Wasser zu geben hätte, bittet sie um das Wasser, das sie zu geben hat, auch wenn es nur abgestandenes Zisternenwasser ist.
Gemeinschaft im Glauben, so wird mir deutlich, geschieht nur so: wo ich den anderen nicht mit meiner vermeintlichen Fülle erschlage, wo ich ihm meine Wahrheit nicht um die Ohren schlage oder ihm vor Augen führe, wie wenig er hat und kann und ist.
Wir Christen werden nur zueinander finden, wenn wir einander nicht von oben herab, aus der Position der vermeintlichen Stärke begegnen. Jesus hat in dieser ungleichen Beziehung der Samariterin die Initiative zugespielt: sie herausfordert zu geben, was sie hat. Wo wir das Wenige, was wir haben, teilen, beginnt dieser Quell lebendigen Wassers bereits zu sprudeln, auch unter uns.
Verehrte Hörerinnen und Hörer, die Zusage Gottes steht: „Wer durstig ist, den werde ich umsonst trinken lassen aus der Quelle des Lebens“, Ich meine, es könnte auch ein Programm für das Zusammenwachsen der Christen sein: wir alle sind auf dem Weg zur selben Quelle, der Quelle des Lebens, aus der Gott uns trinken lassen wird. Dort gibt es genügend lebendiges Wasser für alle, ohne Ausnahme. Und an jenem Tag wird man sich nicht mehr erinnern können, daß die Christen einmal getrennt waren. Darauf hoffe ich, darum bete ich, auch über diese Woche für die Einheit der Christen hinaus.
5. Wer siegt, wird dies als Anteil erhalten: Ich werde Gott sein, und er wird mein Sohn sein ...
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer.
Sind Sie ein Siegertyp? Sind Sie jemand, der im entscheidenden Moment die Nase vorn hat? Der weiß, worauf es ankommt und dem scheinbar alles in den Schoß fällt? Einer, der mit strahlendem Siegerlächeln mal wieder auf dem obersten Treppchen steht?
Mit einigem Jugendlichen, denen die Frage auf der Seele brannte, wofür sich wirklich zu kämpfen und zu mühen lohnt, habe ich mir vor einigen Wochen einen alten Film angesehen, der seinerzeit mit mehreren Oskars ausgezeichnet worden war: „Die Stunde des Siegers“.
Der Film erzählt die Geschichte zweier Läufer: Harald Abraham und Eric Liddell, beide Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele von Paris 1924. Beide verbindet der Wille, schnell zu sein, zu gewinnen, zu siegen, aber ihre Motivation könnte verschiedener nicht sein:
- für den einen ist es eine Frage auf Leben und Tod, die Auseinandersetzung mit sich selbst, seiner jüdischen Herkunft: sich selbst und der ganzen britischen Nation zu beweisen, daß er gut ist, besser und schneller als die gesamte Konkurrenz.
- Der andere gehört zu einer christlichen Missionsgesellschaft und ist für die Mission irgendwo in China bestimmt.
Der Film schildert die innere Auseinandersetzung dieses jungen Mannes, der um seine Berufung weiß, und der sein Leben für Gott, für die Verkündigung der Heilsbotschaft einsetzen will. Aber er erkennt auch seine Begabung und entdeckt darin die Handschrift Gottes: „Ich liebe Gott, aber Gott hat mich auch schnell gemacht“, und so läuft er, um mit seinen Beinen Gott die Ehre zu geben.
„Wer siegt,“ so die Verheißung Gottes im letzten Buch der Bibel, ein Leitwort auch für die Gebetswoche um die Einheit der Christen: „Wer siegt, wird dies als Anteil erhalten: Ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn (resp. meine Tochter) sein ...“
Auch bei meinem Lebenslauf geht es darum, anzukommen, zu gewinnen, zu siegen, daß ich den Sinn meines Lebens finde, ein Ziel, das aller Anstrengungen und Mühen wert ist.
Das muß ich nicht als erster und nicht als bester. Ja es geht gar nicht darum, daß ich der Konkurrenz davonlaufe. Im Gegenteil. Ziel ist vielmehr, daß alle ankommen, daß alle siegen. - und insofern empfiehlt sich der biblische Aufruf zum Siegen tatsächlich auch für den gemeinsamen Lauf der Christen ... Denn es zu wenig, wenn nur ich, wenn nur wir bei Gott ankommen. Bei dem Lauf unseres Lebens wird es gerade darauf ankommen, nicht gegeneinander anzutreten, sondern miteinander zu laufen, sich gegenseitig zu ermuntern und mitzuziehen, damit wir in der Stunde des Siegers nicht allein sind und das eigentliche Ziel verpassen.
Im erwähnten Film gehen schließlich beide Läufer als Sieger durchs Ziel, jeder mit seiner Lebensperspektive. Der Abspann gibt Auskunft über den weiteren Lauf, den jeder genommen hat. Der eine, Harald Abraham, stirbt hochbetagt am Ende eines verdienstvollen Lebens, ein geschätzter Rechtsanwalt und Senior der britischen Sportler. Der andere, Eric Liddell, bricht bald nach seinem sportlichen Erfolg nach China auf und stirbt als Missionar gegen Ende des 2. Weltkriegs fernab der Heimat. Der Film läßt ahnen, daß sein Leben sinnvoll und erfüllt gewesen ist.
Das wünsche ich auch Ihnen und mir - nicht nur an diesem Tag.
4. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen
(mit dem Lied "tears in heaven" von Eric Clapton untermalt)
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer,
nach langer Zeit habe ich dieser Tage ein Lied wiedergehört, einen Song des amerikanischen Gittaristen Eric Clapton der mich in einer schwierigen Zeit ein gutes Stück begleitet hat: „tears in heaven“.
„Tränen - in den Himmel geweint“. Es ist ein Lied voller Zärtlichkeit, das Lied eines Vaters, der um den Tod seines Kindes trauert, doch nicht anklagend oder verzweifelt, sondern mit einer Ahnung, daß es einen Himmel gibt, den all unsere Tränen erreichen, die offen oder verborgen geweinten. In einfühlsamen Worten hält er mit diesem Lied Zwiesprache mit seinem Sohn: „dort, wo du bist, ist Friede - da bin ich mir sicher; und ich weiß: dort wird es keine Tränen mehr geben - im Himmel“.
Verehrte Hörerinnen und Hörer, in der Gebetswoche um die Einheit der Christen lenkt die Bibel diesmal den Blick auf das Ende, besser: auf das, was uns alle am Ende erwartet: auf den Himmel, den wir ersehnen; - und auf Gott, der am Ende auf uns wartet und von dem die Bibel sagt, er werde alle Tränen von unseren Augen wischen. „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage. Keine Mühsal.“
Trostreiche Aussichten für den, der sich nicht in seine Trauer und Traurigkeit einschließt, sondern sich aufrichten läßt und, möglicherweise durch Tränen hindurch, auf den Himmel schaut: „Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen“, so heißt es in einem Psalm, und all die Tränen, aus Liebe um einen nahen Menschen in den Himmel geweint: finden sich dort verzeichnet, aufgehoben bei Gott, der jeden Schmerz kennt und unserer Liebe Flügel verleiht.
„Dort, wo du bist, ist Friede“ -heißt es in dem Lied bei Eric Clapton, „und ich weiß: dort wird es keine Tränen mehr geben - im Himmel“.
Was mich in dem Lied so anrührt, verehrte Hörerinnen und Hörer, ist die Grundmelodie einer stillen, aber festen Gewißheit, die bei aller Schwere und Trauer darin zum Ausdruck kommt: das Wissen um die Zukunft, die uns bei Gott erwartet, und um jenen Frieden, der bereits jetzt uns ergreift und der sich ausbreitet, da wir noch unterwegs sind. Es wäre zu wenig, nur auf ein Licht am Ende des Tunnels zu hoffen: es ist dieses Licht der erbarmenden Nähe Gottes, das uns bereits jetzt in aller Angst und Trauer umfängt und der Mühsal und Sorge den Stachel der Trostlosigkeit nimmt.
Durch die Tränen den Himmel sehen, ein Blick in den geöffneten Himmel, der bereits sein Licht auf unsere Erde wirft. Gewiß, damit ist noch nicht jede Frage beantwortet und jede Leere ausgefüllt. Wir sind noch nicht im Himmel, wir sind noch unterwegs, aber der Himmel wirft bereits Licht auf unseren Weg, und etwas von dem Glanz himmlischer Herrlichkeit hat Gott bereits über unser Leben gebreitet.
So könnte auch das Lied von Eric Clapton unversehens zu einem Gebet werden, das von Zuversicht und dem Wissen um die tröstliche Nähe Gottes getragen ist: „Dort, wo du bist, ist Friede ,und ich weiß: dort wird es keine Tränen mehr geben - im Himmel“.
Did you know my name
if I saw you in heaven
would it be the same
if I saw you in heaven?
I must be strong
and carry on
cause I know
I don‘t belong here in heaven
Could you hold my hand
if I saw you in heaven
could you have be stand ...?
if I saw you in heaven
I find my way
through night and day
cause I know
I just can‘t stay
here in heaven
Time can bring you down
time can make you need
time can break your heard
have your bag in peace bag in peace
Be on the door
there is peace, I am sure
and I know there‘ll be no more
tears in heaven
Could you know my name
if I saw you in heaven
could it be the same
if I saw you in heaven
I must be strong
and carry on
cause I know
I don‘t belong here in heaven
– – – – – – – – – – –
Kanntest Du meinen Namen
als ich Dich im Himmel sah
wäre es dasselbe,
Wenn ich dich im Himmel sähe?
Ich muß stark sein
und weitermachen
denn ich weiß
ich bin noch nicht im Himmel
Könntest du meine Hand halten
wenn ich dich im Himmel sähe?
Könntest Du neben mir stehen,
wenn ich dich im Himmel sähe?
Ich finde meinen Weg
durch Nacht und Tag
Denn ich weiß
ich kann nicht hier im Himmel sein
Zeit kann dich zurückbringen
Zeit kann machen, daß ich dich brauche
Zeit kann dein Herz brechen
Halte die wandernde Seele in Frieden
Sei an der Tür
da ist Friede, dessen bin ich mir sicher
und ich weiß, da wird es keine Tränen
mehr geben im Himmel
Kennst du meinen Namen
wenn ich dich im Himmel sehe
könnte es genauso sein
wenn ich dich im Himmel sehe
Ich muß stark sein
und weitergehen
denn ich weiß
ich bin noch nicht im Himmel
3. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer
Vor einigen Monaten war ich mit unseren Studenten aus dem Priesterseminar im Dom zu Hildesheim. Wir wollten uns unter anderem den schweren bronzenen Radleuchter über dem Altar anschauen, einer Darstellung des himmlischen Jerusalems aus dem 11. Jahrhundert.
Doch zu meinem Erstaunen war der Leuchter zu Restaurierungszwecken auf Augenhöhe herabgelassen worden. Eine einmalige Gelegenheit, den Leuchter aus der Nähe zu betrachten, Wir empfanden es als eine diskrete Aufforderung, sich gleichsam in die Tore zu stellen, die sich zu einer Stadtmauer zusammenfügten, und in die heilige Stadt hineinzuziehen, von der uns die Offenbarung des Johannes in einer Vision berichtet:
„Ich sah die heilige Stadt, das himmlische Jerusalem, ... wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von Herrlichkeit Gottes.“ (Offb 21,10)
Der Anblick des Leuchters muß für den mittelalterlichen Pilger überwältigend gewesen sein, und er mag etwas von der Herrlichkeit Gottes erahnt haben, wenn er aus dem Dunkel des Kirchenraumes in den Lichtkranz dieses Leuchters trat, eben dort, wo auch heute die Gegenwart Gottes unter den schlichten Gaben von Brot und Wein erfahrbar ist. Das himmlische Jerusalem über dem Altar: aussagekräftiges Bild für den Himmel, der sich herabneigt und sich ausbreitet auf die Gemeinde, die zu Gebet und Gottesdienst zusammenkommt und etwas von der Herrlichkeit Gottes in sich aufnimmt und nach außen trägt.
„Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten“, so führt Johannes in seiner Vision weiter aus, „Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie. ... Die Völker werden in diesem Licht einhergehen ... Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen Nacht wird es dort nicht mehr geben“ (21,23ff)
Es ist dies das Modell der offenen Stadt, nicht der geschlossenen Gesellschaft: jene heilige Stadt, offen für alle, die vom Licht angezogen sind. Das himmlische Jerusalem: ein Bild für unsere christlichen Kirchen und Gemeinden. Sie sind ein Ort, wo Gott angebetet wird, der in der Mitte seines Volkes ist. Ein Ort, von dem Licht ausgeht, das sich ohne Vorbehalte verschenkt. An uns Christen liegt es, diese Tore weit offen zu halten, damit jeder mit dieser Wirklichkeit, mit Gott in Berührung kommen kann: Mit der neuen Stadt, dem himmlischen Jerusalem, das vom Himmel herabkommt. Erfahrbar am Altar, dort, wo das neue Gottesvolk sich versammelt um Christus, der uns zu seinem Volk zusammenschließt.
Es ist das Bild des Gottes, der uns nahe gekommen ist, der in unserer Mitte wohnt, mit dem wir vertrauten Umgang haben.
Der herabgelassene Leuchter von Hildesheim, verehrte Hörerinnen und Hörer, ist für mich zu einem Symbol geworden für die ersehnte Einheit der Christen: nicht wir machen sie, sie kommt vielmehr über uns, und wir können ihr entgegengehen.
2. Gott wird in ihrer Mitte wohnen
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer.
„Gott wird in ihrer Mitte wohnen“ ein treffenderes Thema könnte man wohl kaum finden, wenn man um die Einheit der Christen betet, wie es in diesen Tagen in unserem Land geschieht.
„Gott in ihrer Mitte“ das ist eine Vision, die in den Schriften der Bibel immer wieder anklingt, so auch in der Offenbarung des Johannes. Doch steht diese Verheißung nicht nur über dem Ende unserer Geschichte, sie will bereits unsere Gegenwart, unser Hier und Jetzt prägen. „Gott in ihrer Mitte“, das ist nicht nur die Sehnsucht der Menschen, sondern auch erlebte und erfahrbare Wirklichkeit. Jesus hat den Seinen zugesichert, er werde in ihrer Mitte sein, wann immer sie in seinem Namen beisammen sind.
Mir kommt dabei eine Begebenheit in den Sinn, die mir ein guter Freund, damals katholischer Pfarrer in Norddeutschland, berichtet hat. Bei einer gemeinsamen Trauung hatte er seinen evangelischen Amtskollegen aus dem Nachbarort kennengelernt. Die Gespräche mit dem Brautpaar liefen ziemlich mühsam, und ich erinnere mich nicht mehr, ob die Trauung überhaupt stattgefunden hat - aber die beiden Pfarrer fanden darüber zueinander.
Zunächst überlegten sie, eine gemeinsame Aktion zu starten: in ihren Gemeinden ökumenische Bibeltage anzuregen, ein meditatives Nachtgebet anzuregen oder eine Gemeindefahrt für beide Pfarreien zu organisieren ... Doch dann entschieden sie, zunächst einmal selbst damit anzufangen, den eigenen Glauben zu teilen, dem anderen davon mitzuteilen und so am Leben des jeweils anderen Anteil zu nehmen. Gefragt, was er denn gern mache, sagte der eine: „Ich bete gern.“ „Dann laß uns miteinander beten!“, erwiderte der andere.
Sechs Jahre lang haben sich die beiden jeden Sonntag jeweils für eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst getroffen und miteinander und für die ihnen anvertrauten Menschen gebetet. Dann ist jeder in seine Gemeinde gefahren und hat mit ihr den Gottesdienst gefeiert. So entstand über die Jahre hinweg eine Freundschaft und geistliche Verbundenheit, die dann auch auf die Gemeinden abgefärbt hat: Man lernte den anderen verstehen und schätzen, akzeptierte die eigenen Grenzen und die des anderen und ermutigte sich gegenseitig, dem Wirken des Heiligen Geistes zu trauen. Diese Verbundenheit im Geist Gottes dauerte auch fort, als beide Pfarrer nach einigen Jahren versetzt wurden und andere Aufgaben in ihren Kirchen übernahmen.
Mich hat dieses Beispiel gelebter Ökumene tief beeindruckt und ermutigt, dem Wort zu trauen, das Jesus den Seinen - damals wie heute - sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das wäre tatsächlich eine Perspektive auch für das Miteinander der Christen, die noch in verschiedene Kirchen zum Gottesdienst gehen und an getrennten Tischen Abendmahl feiern. Es wäre ein Lebensprogramm für die Kirchen, unbeschadet aller Bemühungen einer theologischen Aufarbeitung, ein Programm für die Christen, einander als Schwestern und Brüder zu erkennen, deren Glaube ich teilen und an deren Leben ich Anteil nehmen kann.
„Gott wird in ihrer Mitte wohnen“, das sind die Aussichten, die uns das letzte Buch der Bibel eröffnet, und ich hielte es nicht für ausgeschlossen, daß sich, vielleicht unbemerkt von den großen Kirchenpolitk, eine Ökumene des Volkes ausbreitet, eine Beziehung des wechselseitigen Verstehens und Anteilnehmens, eine Kultur der gegenseitigen Liebe. Wie sollte Gott da nicht seine Verheißung einlösen und unter den Seinen wohnen, die in seinem Namen vereint sind!
1. Gott spricht: seht, ich mache alles neu
„Auch im neuen Jahr - die alten Gesichter ...“
Verehrte Hörerinnen und Hörer,
diese etwas flapsige Bemerkung in der Sylvesternacht hatte mich - zugegebenermaßen - etwas geärgert.
Wir hatten am Sylvesterabend zusammen gefeiert und auf das neue Jahr angestoßen, und jeder erzählte von seinen Plänen, den bevorstehenden Ereignissen, den hochgesteckten Erwartungen an das neue Jahr.
Als einer dann etwas trocken bemerkte, er sehe sie schon vor sich, auch im neuen Jahr, die alten Gesichter, fand ich das in dem Moment nicht besonders witzig.
Doch eigentlich hatte er gar nicht so sehr unrecht. Denn so sehr wir uns auch mühen, beim Jahreswechsel eine Zäsur zu machen, Altes hinter uns zu lassen und - zumindest für die Länge eines Feuerwerks - ein neues, fröhliches Gesicht aufzusetzen, es wirkt doch eben aufgesetzt, künstlich. Und nachdem das neue Jahr bereits ein paar Wochen alt ist, hat es auch schnell den Glanz des Neuen eingebüßt.
Denn so sehr ich mich dem Neuen entgegenstrecke: die Spuren des Alten gehen mit in jede neue Zeit.
Wir nehmen sie mit, unsere alten Gesichter, mit all den Ecken und Kanten, den Runzeln und Falten, geprägt vom Leben mit all dem Schönen und Schweren, aber auch von unseren Hoffnungen und Sehnsüchten.
Wenn da von etwas wirklich Neuem die Rede ist, wie es die Gebetswoche für die Einheit der Christen verheißt, mag man aus Erfahrung skeptisch sein. Doch das ist diesmal nicht ein Versprechen vom Werbeplakat oder aus der Wahlkampfzeitung, sondern aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, dem Hoffnungsbuch für Christen aller Zeiten: Gott spricht: „Seht, ich mache alles neu“: Für ihn gibt es offenbar kein Alter und kein Vergehen: für ihn ist immer Gegenwart, er ist immer im Kommen, auch im Neuen Jahr, und er haucht uns Leben ein: Mut, Zuversicht, Lebensfreude. Was auch geschieht, worunter wir zu leiden und woran wir zu tragen haben: Gott hat die Kraft, Neues zu schaffen, und auch unseren alten Gesichtern wieder Glanz, Farbe und Strahlkraft zu geben.
„Seht, ich mache alles neu“ - das klingt wie eine Verheißung. Es ist eine Ermutigung auch für die Christen der verschiedenen Kirchen, die unter diesem Motto derzeit zusammenkommen, miteinander in der Bibel lesen und um die Einheit im Glauben beten. Denn auch die Kirchen haben ihre Geschichte: Wunden und Narben, die sie im Streit davongetragen haben. Runzeln und Falten, die sie vielen altmodisch und altbacken erscheinen lassen. Aber es steckt auch eine Kraft in ihnen: der Wille zur Erneuerung und Einheit, im Vertrauen auf die Zusage Gottes, der auch heute Neues schafft.
„Auch im neuen Jahr die alten Gesichter“: Es sind unsere Gesichter, verehrte Hörerinnen und Hörer, die wir mitnehmen in jede neue Zeit und auch in jeden neuen Tag, in einen Tag wie diesen, an dem Gott auf uns zukommt, der die Kraft hat, in uns Neues zu wirken.